Unendlich viel wird in diesem Film geredet und durcheinander geplappert, das Entscheidende aber wird hinter Schwarzblenden versteckt oder bleibt ungesagt.
Der kanadische Regisseur Xavier Dolan übernahm die Hauptrolle des Maxime wieder einmal selbst. Max, wie ihn seine Freunde nennen, ist eine typische Dolan-Figur: seinen Platz im Leben suchend, sympathisch, etwas unsicher, diemal mit rotem Feuermal im Gesicht und erneut mit einer dominanten Mutter geschlagen, die ihm das Leben zur Hölle macht. Dieses Motiv zieht sich durch die Dolan-Filme, Dorval spielt nach ihren Auftritten in „I killed my mother“, „Herzensbrecher“, „Laurence Anyways“ und „Mommy“ diesmal eine völlig derangierte, suchtkranke Figur, die unter Betreuung steht, weil sie mit ihren plötzlichen Gewaltausbrüchen zur Gefahr für sich und andere wird. Max möchte heraus aus dieser toxischen Enge und für zwei Jahre nach Australien gehen.
Einen Spätsommer lang trifft er sich mit seinen Kumpels. Sie feiern und trinken, reden viel und gerne, hören Musik, doch diesmal liegt Abschiedsstimmung über den Treffen. Die jungen Männer wären sich selbst genug, aber zwei nervige Frauen-Figuren treiben die Handlung voran: Francine (Micheline Bernard), die Mutter von Matthias, mischt sich übergriffig in alles ein und gefällt sich in der Rolle der Zeremonienmeisterin der Abschiedspartys. Noch mehr verdrehen die Jungen aber über Érika (Camille Felton) die Augen. Sie ist die Klischeefigur einer mit Anglizismen um sich werfenden Influencerin, die sich an einem Kurzfilm-Projekt versucht, und ansonsten die lästige, kleine Schwester von Rivette.
Als sie eine Wette verlieren, müssen Matthias (Gabriel D’Almeida Freitas) und Maxime (Xavier Dolan) in ihrem Filmchen im Film mitspielen und sich küssen. Vor allem Matthias verunsichert dieser Kuss mit dem Sandkasten-Freund ungemein. Sein Leben verläuft in vorgegebenen Bahnen, Konflikten weicht er am liebsten aus: zuhause regelt Mama Francine alles, die berufliche Karriere treibt sein Vater voran. Der Chef einer Anwaltskanzlei hat jeden Schritt voraus geplant, kommandiert ihn herum und schickt ihn zu einem Treffen mit dem aus Toronto angereisten, klischeehaft schnöseligen Jung-Anwalt McAfee (Harris Dickinson), der zu Arcade Fire-Songs einen komödiantischen Auftritt auf dem Flughafen hinlegt und demonstriert, wie herablassend man seine Umgebung ignorieren kann.
Voller Auslassungen und mit vielen Schwarzblenden kreist der knapp zweistündige Film um die beiden Titelfiguren: um ihre uneingestandenen Gefühle zueinander und um die Frage, wie es nach dem Kuss nun weiter gehen soll.
„Matthias & Maxime“ bleibt hinter den Meisterwerken des kanadischen Regisseurs zurück, der das Kino seit einem Jahrzehnt mit beeindruckend reifen Werken bereichert. Dies liegt auch daran, dass Dolans Filmpartner D´Almeida Freitas, wie Andreas Platthaus in der FAZ treffend bemerkte, vor allem gut aussehen muss, aber eine Figur ohne Ecken und Kanten bleibt. Ihm fehlt das Charisma, das zum Beispiel Niels Schneider als „Herzensbrecher“ hatte. So wird die zweite Hauptfigur zur Leerstelle. In einem eliptischen Film, der ganz auf Brüche und Leerstellen setzt, ist das dann eine Leerstelle zu viel.
Cannes-Liebling Xavier Dolan wurde mit „Matthias & Maxime“ im Mai 2019 wieder einmal in den Wettbewerb um die Goldene Palme, ging dort aber leer aus. Im Herbst 2019 wurde der Film auf den Festivals in Hamburg und Köln vorgestellt, konnte aber erst am 29. Juli 2021 in den Kinos starten.
Bilder: Pro-Fun Media