Meisterhaft lässt Florian Zeller die Zuschauer seines Films „The Father“ im Unklaren. Genau wie Hauptfigur Anthony kann sich auch das Publikum in keiner Sekunde sicher sein, was Realität und was Trugbild ist.
In den vergangenen Jahren gab es einige Versuche, Filme über die Demenz zu drehen, diese tückische Krankheit, die Erinnerungen zerbröseln lässt und Persönlichkeiten zerstört. Oft wirken die Annäherungen an diese furchtbare Krankheit peinlich oder verkrampft. Florian Zellers Strategie, aus der Perspektive des alten Mannes zu erzählen, der den Halt und die Orientierung verliert, hebt sich davon wohltuend ab.
Es ist der entscheidende Kniff dieses Films, dass „The Father“ die entscheidende Frage über weite Strecken in der Schwebe lässt: Haben wir es hier wirklich mit einem alten Mann zu tun, der die Kontrolle über sein Ich verliert, auf Hilfe angewiesen ist, dies aber nicht wahrhaben will und seine Mitmenschen vor den Kopf stößt? Oder ist Tochter Anne (Olivia Colman) mit ihrem Mann Paul (Rufus Sewell) tatsächlich nur hinter dem Erbe her und giert danach, den Vater ins Pflegeheim abzuschieben, um sich die Wohnung im noblen Londoner Stadtteil Kensington unter den Nagel zu reißen, wie Anthony glaubt.
Regisseur Florian Zeller und sein Drehbuch-Co-Autor Christopher Hampton lassen dieses intensive Kammerspiel auf engstem Raum spielen. Der Zuschauer fragt sich ebenso wie Anthony häufig: Wo sind wir jetzt gerade? Die Versuche, sich Orientierung zu schaffen, laufen immer wieder ins Leere, da Zeller die nächste Finte schlägt. Einen entscheidenden Anteil hat daran Peter Francis, der für das Szenenbild verantwortlich ist, „das sich in kleinen Details immer wieder ändert. So begreifen wir nach und nach, dass sich im Kopf des Protagonisten verschiedene Orte zu einer Lokalität vermischen“, lobte Christopher Diekhaus auf kino-zeit.de. So treibt „The Father“ das Verwirrspiel voran, bis es zu einem dramatischen Finale im Pflegeheim aufgelöst wird.
„The Father“ beruht auf dem Erfolgs-Stück „Le Père“, das Zeller bereits 2012 in Paris uraufgeführt hat und zuletzt Anfang Juli in der Diskothek des Schauspiels Leipzig inszeniert wurde. Es ist aber weit mehr als nur abgefilmtes Theater, sondern ein intensives Drama, das von seiner hochkarätigen Besetzung lebt.
Zurecht gewann Anthony Hopkins den zweiten Oscar seiner langen Karriere (nach seiner Rolle als Hannibal Lecter in „Das Schweigen der Lämmer“) für eine sehr nuancierte, würdevolle Darstellung des alten Manns. Er spielt ihn als facettenreiche Figur mit Momenten voller Charme und Boshaftigkeit, mit kurzen Augenblicken der Klarheit und sich häufenden Momenten, in denen ihm schmerzlich bewusst wird, dass er den Überblick und Halt verliert.
Genauso berechtigt ist der zweite Oscar für diesen Film, den Zeller und Hampton für die Drehbuch-Adaption des Bühnenstücls gewannen. Bei der Festival-Premiere in Sundance im Januar 2020 ging „The Father“ noch leer aus, in San Sebastian gewann das Kammerspiel im September 2020 den Publikumspreis. Am 26. August 2021 startete „The Father“ nach mehreren Lockdown-Verschiebungen endlich in den deutschen Kinos.
Bilder: Tobis Film