Eddy-Projekt

Ungewöhnlich liest sich der Besetzungs-Zettel des „Eddy-Projekts“, das Alexander Weise im Off-Theater Wabe an der Danziger Straße, wo der Prenzlauer Berg nicht mehr so schick ist und am Ernst-Thälmann-Park noch ein Hauch von DDR-Vergangenheit zu erahnen ist: Er entwickelte den Abend mit Jugendlichen aus dem Kiez, jungen Schauspieler*innen, die noch im Studium sind oder es gerade abgeschlossen haben, und bekannten Film- und Fernseh-Gesichtern.

Dass Alexander Weise auf den großen Bühnen oft mit Ulrich Rasche zusammenarbeitet, ist dieser Off-Theater-Arbeit deutlich anzumerken: der erste Teil ist präzise choreographiert, zentrale Passagen werden im Wechsel mit Soli chorisch gesprochen. Die ersten 90 Minuten konzentrieren sich auf den autobiographischen Roman „Das Ende von Eddy“, mit dem Édouard Louis 2014/15 bekannt wurde. Die quälenden Erfahrungen des Mobbings und die Unsicherheit bei der Selbstfindung des jungen Homosexuellen spielen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen sehr authentisch.

Nach der Pause räumen sie die Bühne für das Solo das Film-Stars Alexander Fehling, der mit Alexander Weise und Ulrich Rasche vor einigen Jahren bei „Dantons Tod“ und „Sieben gegen Theben/Antigone“ am Schauspiel Frankfurt zusammenarbeitete. Den anklagenden Essay „Wer hat meinen Vater umgebracht?“ von 2018, in dem Louis mit der sozialen Schieflage und den Kürzungen in der französischen Politik abrechnete, spricht Fehling als konzentrierten, knapp einstündigen Monolog, der in einem grübelnden Grundton verharrt. Anders als in den Inszenierungen des Volkstheaters Wien und des Münchner Volkstheaters bleibt Fehlings Ton nachdenklich, zu keinem Moment steigert er sich in die Wut-Tiraden hinein, die die beiden genannten Louis-Bearbeitungen prägten.

Während die Stimmung des erzählenden Ichs im Text zwischen Versöhnung und Anklage des Vaters schwankt und im letzten Drittel all die politischen Maßnahmen aufzählt, unter denen der Vater und das Prekariat litten, bleibt Fehlings Vortrag zu gleichförmig. Diese Regie-Entscheidung, dass das Solo im zweiten Teil auf einem konstanten Ton ohne Ausschläge der Amplitude bleibt, bemängelte auch Nachtkritik-Leser Karsten, der eine Folge-Vorstellung mit Jonathan Berlin sah: „Der letzte Satz, dass nur „eine ordentliche Revolution“ noch helfen könne, wirkt nicht erarbeitet, erlebt, sondern behauptet“, brachte er es auf den Punkt.

Schon bald, im Oktober, hat das Berliner Publikum die Gelegenheit, zu erleben, in welcher Tonlage der Autor Édouard Louis selbst seinen Text performt: bei einem FIND-Gastspiel wird er, falls es die Corona-Lage zulässt, in einer Inszenierung des Schaubühnen-Chefs Thomas Ostermeier live auf der Bühne stehen.

Alexander Fehling

Deshalb wirkt der zweite, so prominent besetzte Teil des „Eddy-Projekts“ wie ein Nachklapp. Facettenreicher, wenn auch teilweise etwas zu exaltiert, wie Georg Kasch in seiner Nachtkritik richtig schreibt, war die erste Hälfte vor der Pause, die vom Zusammenspiel aus Laien und angehenden Profis lebte. Gemeinsam performten sie die Selbstzweifel, demonstrierten die Hüftschwünge und zu hohe Stimmlage, die Louis in seiner Jugend zum Außenseiter machten, stöckelten auf High Heels und sangen Cranberries-Hits.

Vom „Eddy-Projekt“ sind vorerst nur noch wenige Vorstellungen bis 1. September geplant. Der bekannteste Schauspieler im Team, Alexander Fehling, wird jedoch nur noch bei der zweiten Vorstellung auf der Bühne stehen. Die Folge-Termine teilen sich Jonathan Berlin, einer der Initatoren des #actout-Manifests in der Süddeutschen Zeitung im Winter 2021, Michael Rotschopf, der zuletzt im „König Lear“ am Renaissance Theater zu sehen war, und an den beiden letzten Abenden Franz Hartwig, der dem Berliner Theaterpublikum noch aus seiner Zeit im Ensemble der Schaubühne bekannt ist.

Bilder: Berta PR

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