Krampus: Pelz und Puderzucker

Als zweiten Teil des Doppelpremieren-Abends bot das Gorki Theater nach der ernsten Roman-Adaption „1000 Serpentinen Angst“ eine launige, 80 Minuten kurze Stückentwicklung auf der kleinen Bühne im Container.

Die österreichische Regisseurin Isabella Sedlak, Regie-Assistentin am Haus, nahm einen Brauch aus ihrer alpenländischen Heimat als Ausgangspunkt für den Abend: beim „Krampuslauf“ ziehen junge Männer in Fellkostümen durch die Straßen und prügeln mit Reisigbündeln auf Passant*innen ein. Ein Brauchtum, das auf archaischen Männerbildern gründet und – wie in der US-Horror-Film-Reihe „The Purge“, wo einmal im Jahr alles erlaubt ist – als Ventil für aufgestautes Testosteron und Aggressionen dient.

Mit ihrem rein weiblichen Team von fünf Spielerinnen (Maryam Abu Khaled, Yanina Cerón, Anastasia Gubareva, Orit Nahmias, Vidina Popov) hat Sedlak eine Nummern-Revue entwickelt, die um die Klischees der österreichischen Tourismus-Werbung und die Gewalt kreist. In den Mittelpunkt spielt sich immer wieder Vidina Popov, die als Conférencière mit Wiener Charme die heilsame Wirkung eines Retreats in dem Dörfchen Öd anpreist und die üblichen Floskeln der Selbstoptimierungs- und Ratgeber-Literatur durch den Kakao zieht.

Die Soli wechseln sich mit Gruppen-Choreographien, die Therese Nübling einstudiert hat, und Jodel-Comedy-Einlagen. Wie es bei Stückentwicklungen manchmal der Fall ist, wirkt der Abend jedoch nicht wie aus einem Guss, sondern wie das Ergebnis eines Arbeitsprozesses, bei dem alle Beteiligten viel Freiraum hatten, ihre Ideen zu verwirklichen.

„Für mich ist es die Lüge, dass die Gewalt kontrollierbar wäre, wenn man erst mal von ihr gekostet hat. Für mich ist es die Lüge, dass man sie einmal rauslässt und sich damit davon befreit“, zieht Maryam Abu Khaled, die davor schon Panikattacken thematisiert hatte, ein bitteres Fazit. Die Palästinenserin, die ihre Schauspielausbildung im Freedom Theatre in Dschenin erhielt und über das Exil Ensemble ans Gorki Theater kam, demaskiert in ihrem abschließenden Solo die männlichen Gewaltrituale, die als Brauchtum schöngeredet werden. Vor dem Hintergrund ihrer Gewalterfahrungen im Nahost-Konflikt wirkt die adventliche „Krampus“-Folklore-Gaudi der Landjugend in Isabella Sedlaks Heimat für sie doppelt fremd.

Bild von Maryam Abu Khaled: Esra Rotthoff

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