Oedipus

Bedrohlich hängen die Leuchtstoffröhren über der Bühne, die Ulrich Rasche wie immer bei seinen Regie-Arbeiten auch selbst gestaltet hat (Mitarbeit: Leonie Wolf). Zwischen polarkaltem Blau, sterilem Weiß und Blutrot wechseln sie ihre Farbe, dazu dräuen die Klänge der vier Live-Musiker*innen Carsten Brocker, Katelyn King, Špela Mastnak, Thomsen Merkel aus dem Orchester-Graben.

Von vornherein hängen die Leuchtstoffröhren schief, die Welt der Thebaner ist durch die Pest aus den Fugen geraten. Doch Herrscher Ödipus (Manuel Harder) ist anfangs noch so selbstgewiss und breitbeinig, wie es die sich drei Stunden lang kontinuierlich drehende Bühne gerade noch zulässt. Sie zwingt das Ensemble permanent zu den Rasche-typischen Side-Step-Bewegungen.

Die archaisierende Sprache von Friedrich Hölderlin, des großen, völlig aus seiner Zeit gefallenen Außenseiters der deutschen Literaturgeschichte, wählte Rasche für seine düstere Sprechopern-Tragödie. Nicht auf Sophokles, der die Sage vom Fluch der Atriden, vom Vatermord des Ödipus, dem Suizid der Mutter und dem Untergang einer ganzen Familie, im „König Ödipus“ in seinem klar-funkelnden Ton der griechischen Antike erzählte, sondern auf die manischere, dunklere Adaption „Ödipus, der Tyrann“, die Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens für eine Kölner Inszenierung von 1984 bearbeitet haben, stützt er sich.

Elias Arens, Almut Zilcher, Manuel Harder, Toni Jessen, Linda Pöppel, Yannik Stöbener

Der Abend lebt von den Konfrontationen des Ödipus (Harder) mit dem Seher Teiresias, den Kathleen Morgeneyer im Kontrast zu der Alphatypen-Pose des Herrschers sehr zart, fast schon zerbrechlich spielt, mit Kreon (Elias Arens) oder mit seiner Gattin und Mutter Iokaste, die Almut Zilcher mit großer Eleganz in den Abgrund gleiten lässt. Bei diesen Zweier-Begegnungen, in denen Ödipus Schritt für Schritt seine Verblendung klar wird, schwillt der Klang-Teppich zu voller Lautstärke an. Wie Untote schleicht das Ensemble durch eine Geisterwelt im Zwielicht, oft sind sie nur Schemenhaft unter den Röhren zu erkennen, bevor sie wieder im schwarzen Hintergrund verschwinden. Das Regie-Konzept von Rasche lässt jeder Figur aber auch erstaunlich viel Raum. Vor allem Morgeneyer und Zilcher geben dem Abend eine eigene Note: leise, fragile Töne, die mit den marschierenden Jungmänner-Truppen, die sich über gewaltige, den gesamten Bühnenraum füllende Maschinen-Kolosse brüllen und seufzend schleppten, wenig gemeinsam haben.

Mit seinem Namensvetter Ulrich Khuon hat Rasche vereinbart, für die drei Inszenierungen auf kleinere Formate umzusteigen. Das Bühnenbild hat bei weitem nicht mehr die aus München oder Dresden gewohnten Ausmaße, die die Bühnentechniker – wie man hörte – an den Rand der Verzweiflung brachten. Stattdessen wird das minimalistische Bühnenbild, in dem schon kurz vor den Corona-Lockdowns „4.48 Psychose“ von Sarah Kane Premiere hatte, wieder verwendet.

Julia Windischbauer, Enno Trebs, Linda Pöppel, Toni Jessen, Yannik Stöbener, Elias Arens

Wenn die Leuchtröhren kurz vor Schluss heruntergefahren werden, Theben in einem Black versinken lassen und das Ensemble verschlucken, tritt der Chor ein letztes Mal auf und beklagt den Untergang der Atriden. Manuel Harder steht nackt und verloren am Rand. Das restliche Ensemble hat sich in den Chor eingegliedert, der gemäß dem neuen „Rasche light“-Konzept während der drei Stunden meist nur aus drei Personen bestand: den beiden Rasche-Stammkräften Toni Jessen und Yannik Stöbener sowie Linda Pöppel aus dem DT-Ensemble.

Der gewaltige Sog, die Überwältigungseffekte, die Ulrich Rasche bekannt machten und ihm vor einigen Jahren drei Theatertreffen-Einladungen in Folge einbrachten, fehlen dieser „Oedipus“-Tragödie. Alle bekannten Stilmittel des Rasche-Sounds sind auch in dieser Light-Version ohne den gigantischen Maschinen-Aufwand noch vorhanden. Seine volle Kraft wird der „Oedipus“ vor allem bei denen entfalten, die Rasches Arbeiten noch nicht kennen. Für Theatertreffen-Stammgäste wirkt die neue Inszenierung wie die konsequente Fortschreibung und Corona-konforme Light-Version einer Theater-Marke, die nicht mehr so atemberaubend wie die stilprägenden Großproduktionen wirkt. Aber auch diese Light-Version ist immer noch ein sehenswerter Theater-Abend zum Spielzeit-Auftakt am DT Berlin.

Bilder: Arno Declair

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert