Tschewengur

Eigentlich sollte Sebastian Baumgartens Adaption von Andrei Platonows Roman im Januar 2021 auf der Gorki-Bühne Premiere haben. Da der Premierenstau allerorten wuchs, entschied sich das Team, nicht länger auf das mehrfach verschobene Ende des Lockdowns zu warten, sondern in Lichtenberg eine filmische Version zu drehen.

Die Brachlandschaft und die Industrie-Ruinen, die Baumgarten als Drehort wählte, atmen auch mehr als dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer die realsozialistische Tristesse, von der auch Platonow in seiner zu Sowjet-Zeiten verbotenen satirischen Dystopie erzählte. Wie Don Quijote und Sancho Pansa streifen Sascha Dwanow und sein Begleiter Kopjonkin (Jonas Dassler und Till Wonka) auf der Suche nach „Tschewengur“, wo der Kommunismus bereits verwirklicht sein soll, und nach dem Grab der sozialistischen Ikone Rosa Luxemburg durch die russischen Steppen.

Sonia Zekri bescheinigte dem Roman, als er in aktualisierter Übersetzung 2018 bei Suhrkamp erschien, in ihrer SZ-Rezension filmreife Szenen, geradezu tarantinoesk wirke vieles an diesem Trip ins Herz der revolutionären Finsternis. Baumgarten und sein „Studio Platonow“-Team entschieden sich allerdings dagegen, einen klassischen Film zu drehen: Chris Kondek im Schnitt meist nur Standbilder und Stills aneinander, die Schauspieler*innen lieferten das Voice-Over bei einer Nachbearbeitung im Container, der kleineren Spielstätte des Gorki-Theaters. Dementsprechend experimentell wirkt diese Lockdown-Produktion, die gestern Abend im Theater auf der Leinwand erstmals gezeigt wurde und nun in das umfangreiche Stream-Angebot des Gorki wandert.

Ein Erzählfluss kommt in diesen 95 Minuten nicht auf. Vor allem wenn man die mehr als 500 Seiten dicke Roman-Vorlage nicht kennt, die Dirk Pilz in einer seiner letzten Besprechungen als „Meisterwerk“ feierte, wirkt dieser Theaterfilm schwer zugänglich.

Vorschaubild mit Cigdem Teke: Esra Rotthoff

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