Der schlimmste Mensch der Welt

In 12 Kapiteln plätschert Joachim Triers Film, mit dem er seine Oslo-Trilogie abschloss, dahin. Zwei Stunden lang folgen wir Julie (Renate Reinsve), wie sie durch ihr Leben in der norwegischen Hauptstadt stolpert und stromert. Der Titel „Der schlimmste Mensch der Welt“ ist bewusst irreführend: denn an dieser Julie ist nichts besonders schlimm. Im Gegenteil: sie verkörpert Durchschnittlichkeit. Nichts ist an Julie aufregend: sie ist einfach nur eine junge Frau, die von der Vielzahl der Optionen überfordert ist und ihr Leben nicht auf die Reihe bekommt. Ihre Jobs wechselt sie fast so oft wie ihre Liebhaber, sie kann sich nicht entscheiden zwischen dem Comic-Zeichner Aksel (Anders Danielsen Lie), einem Mittvierziger, der mit ihr eine Familie gründen möchte, und dem Barkeeper Elvind (Herbert Nordrum), der wie sich wie sie von Gelegenheitsjob zu Affäre hangelt.

Diese Geschichte, die Trier und sein Drehbuch-Co-Autor Eskil Vogt (zuletzt mit dem Horrorfilm „The Innocents“ aufgefallen) erzählen wollen, hat den Vorteil, dass sie so alltäglich ist, dass die Figur der Julie, die sie gemeinsam mit der Darstellerin entwickelten, einen hohen Wiedererkennungswert hat: solche Personen kennt jeder aus seinem Umfeld und viele erkennen sich sicher auch in ihr wieder. Aber weil die Geschichte so gewöhnlich und so oft erzählt ist, bedarf es besonderer Meisterschaft und/oder eines besonderen Zugriffs, um den Film aus gewöhnlicher Arthouse-Kost herauszuheben.

Joachim Trier zählt mit seinem eindringlichen Junkie-Drama „Oslo, 31. August“, dem 2011 erschienenen Mittelteil der Trilogie, in der Anders Danielsen Lie die Hauptrolle spielte, mit seinem still-intensiven „Louder that bombs“ und seinem Mystery-Experiment „Thelma“ zu den spannendsten Autorenfilmern des europäischen Kinos. Dennoch scheitert er daran, seinem neuen Film etwas Besonderes einzuhauchen.

Routiniert und mit bekannten Stilmitteln wie einem leicht ironischen Off-Kommentar spult Trier die Tragikomödie um Julie und ihre Männer ab. Zu oft wirkt der Film sehr zielgenau auf die Arthouse-Zielgruppe berechnet. Tatsächlich hat der Film nach der Cannes-Premiere, wo Reinsve im Sommer 2022 mit der Silbernen Palme als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde, eine veritable Festival-Karriere hinter sich, eröffnete „Around the World in 14 films“ im Spätherbst in der Berliner Kulturbrauerei und bekam zwei Oscar-Nominierungen (in den Kategorien nicht-englischsprachiger Film und Original-Drehbuch).

Die zwei Stunden sind phasenweise gefällig und zum Schmunzeln, aber oft auch nur fade Arthouse-Alltags-Kost. Wenig bleibt in Erinnerung. Dazu zählen die Szenen, in denen sich Julie und Elvind vorsichtig beschnuppern, aber klare Stoppschilder setzen, da beide noch in Beziehungen sind, und vor allem die lange Einstellung in der Mitte des Films, als Julie den Alltag und die Welt um sich herum für einen Moment zum Stillstand bringt, ihren Partner Axel mit der Kaffeekanne ebenso in der Küche stehen lässt wie all die eingefrorenen Passanten und zu ihrem neuen Liebhaber rennt. Wenn es nur mehr so starke, experimentierfreudige Szenen gegeben hätte! Stattdessen muten uns Trier/Vogt auch noch so abgedroschene Klischees wie eine Verherrlichung des Nikotin-Qualms bei einer Kuss-Szene und die tränenreiche Krebsdiagnose für den verlassenen Ex zu.

Bild: Oslo Pictures

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