Exil

Eine Menge Holz fährt dieser Abend von Luk Perceval auf und das in mehrfacher Hinsicht. Zunächst ganz wörtlich durch die Berge an Stühlen, die Annette Kurz im Berliner Ensemble errichten ließ. Im ersten Teil des Abends türmen sie sich zu einem Eiffelturm-Imitat, das nach der Pause ebenso wie die Träume der Exilant*innen zusammenstürzt, so dass nur noch ein paar Hocker in der Wartesaal-Tristesse übrigbleiben, die Oliver Kraushaar in seinem Schlussmonolog beschwört.

Eine Menge Holz sind aber auch die gewaltigen Textmassen, die hier auf das Publikum niederprasseln. Durch das Gewimmel von zwölf Spieler*innen, die in einigen Fällen auch noch Doppel- und Dreifach-Rollen besetzen, und ebenso vielen Statist*innen, die sich in Ted Stoffers Choreographie mal lethargisch wie in Zeitlupe, mal traumatisiert zuckend bewegen, hätten der belgische Regisseur und seine Dramaturgin Sibylle Baschung noch deutlichere Schneisen schlagen müssen. So bleibt der Eindruck von Unmengen an Monologen, die abgespult werden. Oft handelt es sich dabei um innere Monologe der Figuren aus Lion Feuchtwangers Roman, die die Spieler*innen aufsagen müssen, so dass der Abend stellenweise eher wie eine szenische Lesung wirkt. Dies wird im nächsten Moment durch oft unmotiviertes Schreien und Brüllen zu kompensieren versucht, was die Sache aber nicht besser macht.

Dementsprechend hölzern wirken die mehr als drei Stunden, die am Ende jedoch nicht ganz so lange ausfielen wie im Programmheft mit 3 Stunden 20 Minuten angekündigt. Dem Ensemble bleibt in diesem überfrachteten Wimmelbild kaum eine Chance, ihre Figuren klarer zu konturieren. So enden Peter Moltzens Nazi-Auftritte als Knallchargen, etwas subtiler gerät das Fiese an Erich Wieseners Charakter bei Marc-Oliver Schulze.

Während Constanze Becker als Geliebte Lea de Chassefiere weitgehend beschäftigungslos bleibt, ernten zwei Spieler*innen den stärksten Applaus: Pauline Knof, Enkelin von Inge Keller und Tochter von Barbara Schnitzler, zwei über Jahrzehnte prägenden Spielerinnen des benachbarten DT Berlin, spielt Anna Trautwein als Frau, die zunächst sehr geerdet ist und ihren Künstlergatten Sepp auf dem Boden der Tatsachen hält, bevor sie sich in der zweiten Hälfte in einem theatralischen Tränenausbruch das Leben nimmt. Ihren Mann Sepp Trautwein verkörpert Oliver Kraushaar, der sich mit seinem raumgreifenden bayerischen Bass ins Zentrum der Aufführung spielt.

Wesentliche Konflikte aus Feuchtwangers Panorama der Literaten und Intellektuellen in der Pariser Exil-Szene der 1930er Jahre kommen in der „Exil“-Theaterfassung am Berliner Ensemble zu kurz: z.B. der Konflikt zwischen Vater Sepp und Sohn Hans Trautwein (Jonathan Kempf), ob ein Leben, das sich ganz dem Komponieren verschreibt, in Zeiten der NS-Gewaltherrschaft legitim ist, oder ob man politischen Widerstand leisten muss, wie es Hans propagiert. In dieser Figuren-Konstellation spiegelte Feuchtwanger auch sein eigenes Ringen, er war hin- und hergerissen zwischen kurzzeitiger Begeisterung für Stalins Sowjetunion, die auch Hans bejubelt, und einem nüchtern-distanzierten Beschreiben des Zeitgeschehens als Romanautor. Im Programmheft gibt die Slawistin und Germanistin Anne Hartmann einen Einblick in diese komplexe Thematik, die im schwer zugänglichen Unterholz des überlangen Theater-Abends zu wenig beleuchtet wird.

Im Premieren-Publikum gab es zwar einigen Jubel für den belgischen Star-Regisseur Perceval, der mit dem legendären Shakespeare-Marathon „Schlachten“ im Jahr 2000 bei den Salzburger Festspielen seinen Durchbruch in der deutschsprachigen Theaterlandschaft feierte, insgesamt vier Mal zum Theatertreffen eingeladen wurde und als Hausregisseur die Schaubühne in Berlin und das Thalia Theater Hamburg prägte. Die coronabedingt um zwei Spielzeiten verschobene Eröffnungs-Inszenierung wirkte jedoch zu hölzern und streckenweise altbacken.

Bilder: Jörg Brüggemann

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