Intolleranza 1960

Zwei Herzstücke prägen diesen Eröffnungsabend der Intendanz von Susanne Moser/Philipp Bröcking, die an der Komischen Oper Berlin das Erbe von Barrie Kosky antreten:

Schon beim Betreten des Saals ist alles anders als sonst: die Stühle sind herausgerissen, im Zuschauerraum hat Márton Ágh eine Eiswüste geschaffen, durch ein heimatloser „Emigrante“ (Sean Panikkar) streift. Das Publikum wurde auf harten Schalensitzen an den Rändern oder in steil ansteigenden Reihen auf der Bühne platziert.

Sean Panikkar

Das zweite Kraftzentrum der knapp 80 Minuten kurzen szenischen Opern-Installation ist der Gastauftritt von Ilse Ritter. Diese prägende Schauspielerin der vergangenen Jahrzehnte ist nur noch selten zu erleben. Carolin Emcke, politisch engagierte Essayistin und Friedenspreisträgerin, hat ihr einen Text geschrieben, der von Schmerz und Leid in Zeiten von Flucht und Krieg erzählt. Zwischen all dem Wimmern, Jammern und Zirpen von Luigi Nonos atonaler Komposition sind ihre kurzen Auftritte ein ruhender Pol. Jede Silbe ist glasklar artikuliert und bedeutungsvoll-empathisch vorgetragen, ihre „unnachahmliche Grandezza aus rollendem R und Wiener Singsang“ (Georg Kasch auf Nachtkritik) füllt den Raum.

Ilse Ritter und Chor

Jenseits des Bühnenbilds und des glamourösen Gastauftritts ist der Abend ein alles andere als leicht zu konsumierender Abend. Die atonalen Klänge und schmerzverzerrten Gesichter des Chores schaffen eine dystopische Grundstimmung. Assoziativ erzählt „Intolleranza 1960“ von politischen Missständen seiner Entstehungszeit, geschult an Antonio Gramsci und Bertolt Brecht.

Die Premiere fand an einem Wochenende, an dem viele junge Russen auf der Flucht vor einer drohenden Zwangsrekrutierung sind und in Italien ein Bündnis der Berlusconi-Partei mir Neofaschisten die Mehrheit gewann. Die Themen von „Intolleranza 1960“ haben also traurige Aktualität. Dennoch wirkt diese Oper und Marco Štormans Inszenierung in ihrer eisigen, schneiden Kälte sehr fern.

Wer „Intolleranza 1960“ live erleben möchte, muss schnell sein. Drei der sechs Aufführungen sind bereits vorbei. Danach wird die Eiswüste wieder den bequemen roten Sesseln Platz machen.

Bilder: Barbara Braun

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