Der Wij

Düster und brutal sind diese zwei Theaterstunden, in denen Kirill Serebrennikov vom Krieg erzählt. Filip Avdeev, einer seiner Stammspieler aus dem mittlerweile geschlossenen Gogol Center, kauert im Boden und wird von einem Trio malträtiert. Johannes Hegemann (Nachwuchsschauspieler des Jahres) und Oleksandr Yatsenko (Gast aus der Ukraine in dieser bewusst transnational angelegten Inszenierung des Thalia Theaters) überbieten sich in Grausamkeiten, die sie ihrem Opfer antun möchten. Pascal Houdus greift mahnend ein und versucht, die schlimmsten Exzesse abzumildern.

 Im Halbdunkel sind diese Aktionen oft nicht klar zu erkennen, ohne Untertitel gellen die deutschen und ukrainischen Kommandos durch die aufgeladene Situation. Johannes Hegemann schilderte im Nachgespräch, wie schwierig es war, diese Dialoge in den Proben zu gestalten: Anfangs fielen sich die Spieler gegenseitig ins Wort, da sie noch kein Gefühl dafür hatten, ob der Spielpartner in der Fremdsprache seine Passage bereits zuende gesprochen hat oder noch mitten im Satz ist.

Diese erste Hälfte des Abends ist von Kirill Serebrennikov, der vor einem Jahr aus dem Moskauer Hausarrest entlassen wurde und seit Beginn des Angriffs auf Kiew im Exil lebt, und seinem ukrainischen Koautor Bohdan Pankrukhin als bewusste Überforderung des Publikums angelegt. Die Zuschauer*innen können nur schemenhafte Umrisse der Handlung erkennen und nur Bruchstücke der Dialoge verstehen. Dennoch wird das Grauen des Krieges, von dem diese Stückentwicklung erzählen will, sehr deutlich spürbar.

Als Titel des zweistündigen Abends ist „Der Wij“ angekündigt. Doch von Nikolai Gogols hierzulande kaum bekannter Erzählung sind nur einzelne Motive geblieben. Das russisch-ukrainische Autorenduo entwickelte daraus einen Abend, der teils mit hartem Realismus, teils in symbolischen Andeutungen von Folter und Tod, Schmutz und Elend berichtet. In der spielerisch eindrucksvollsten Szene des Abends baumelt das Trio, das wir schon zu Beginn erlebten, an Klettergerüsten, zieht sich mit Klimmzügen hoch, hängt kopfüber nach unten und presst weitere Erzählungen von Folter und Krieg hervor. Einige Drill-Instructor-Einheiten von Serebrennikows bewährtem Choreographen-Duo Ivan Estegneev und Evgeny Kulagin waren nötig, um das Ensemble auf das Fitness-Level zu bringen, diese Tour de Force durchzustehen, erzählte das Team beim gestrigen Nachgespräch.

Proteste der Ukrainierinnen, die sich vor der Premiere im Dezember vor dem Theater formierten und den Intendanten dafür beschimpften, einem exil-russischen Regisseur ein Forum zu geben, gab es diesmal nicht mehr. Joachim Lux berichtete von Shitstorms per Mail und dem langen Gespräch mit einer Aktivistin, in der beide Seiten Verständnis für einander entwickelten.

„Der Wij“ ist ein fordernder Abend, der sehr drastisch und zugleich symbolisch-rätselhaft von Krieg und Gewalt erzählt. Es wundert mich, dass die Theatertreffen-Jury diese Inszenierung nicht auf der Shortlist für die engere Diskussion der 10er Auswahl hatte.

Bild: Fabian Hammerl

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