Das Leben bietet manchmal seltsame Zufälle: Heute Vormittag sickerte durch, dass die Intendanz von Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg am Schauspielhaus Zürich nicht verlängert wird. Zu heftig war der Gegenwind in diversen Medien, vor allem der NZZ, die monatelang wiederholten, dass sie mit ihrem performativ-postdramatischen Konzept das konservative Züriberg-Stammpublikum vergraulen.
Am selben Abend gastierte „Ödipus Tyrann“, eine sehenswerte Klassikerbearbeitung der beiden, bei den Lesssingtagen am Thalia Theater, in Stemanns Heimatstadt Hamburg und zugleich der Ort seiner größten künstlerischen Erfolge: An diesem Haus liefen fünf seiner insgesamt sieben zum Theatertreffen eingeladenenen Inszenierungen.
Dieser „Ödipus Tyrann“-Abend geht so respektvoll mit der antiken Sophokles-Tragödie um, dass er ganz sicher nicht als Bürger- und Abonnenten-Schreck taugt. Im Gegenteil: durch kluge Kürzungen entstand eine sehr reduzierte Fassung, die fast ausschließlich auf der Vorderbühne vor dem Eisernen Vorhang spielt. Alicia Aumüller und Patrycia Ziólkowska teilen sich alle Rollen von Ödipus über Iokaste oder Teiresias bis zum Chor.
Dieser weniger als zwei Stunden kurze Abend ist ein Schauspielerinnen-Fest. Virtuos wechselt das Duo zwischen der Tragödien-Strenge und den kleinen, kabarettistischen Auflockerungen, die ihnen Stemann/von Blomberg in den Text geschrieben haben. In das schrittweise Erkennen der tragischen Verstrickungen werden kleine Soli eingebaut: breitbeinig-flapsige Beschimpfungen des Orakels, das scheinbar doch falsch lag, vor allem aber Publikumsbeschimpfung. „Ihr seid Schuld!“ haut das Duo den Zuschauer*innen in mehreren Varianten um die Ohren.
Aumüller/Ziólkowska werden im März in Bensheim den Gertrud-Eysoldt-Ring für ihr Zusammenspiel verliehen bekommen. Verwunderlich ist, dass die Theatertreffen-Jury den „Ödipus Tyrann“-Abend nicht mal in die engere Shortlist-Diskussion nahm. Dort ist nur Stemanns Jelinek-Uraufführung „Sonne, los jetzt!“ als einzige Inszenierung des Schauspielhaus Zürich vertreten.
Bild: Philip Frowein