Eviction/Alles wird schön sein

Der 6. Berliner Herbstsalon des Gorki Theaters mit zahlreichen Ausstellungen, Diskussionen und Performances steht ganz im Zeichen der politischen Lage in der Türkei und startete gestern mitten im lange ersehnten Frühling mit einem Prolog. Der Grund dafür sind zwei Daten: das zehnte Jubiläum der Gezi-Proteste, als sich erstmals breiter Protest gegen die zunehmend autoritäre Herrschaft von Staatspräsident Erdogan formierte, und natürlich die Stichwahl an diesem Wochenende, in die Erdogan trotz der gemeinsamen Mobilisierung der Opposition als Favorit geht.

Das „Gezi Ten Years After“-Festival eröffnete gestern mit einem Panel, auf dem Peter Steudtner und Deniz Yücel, die beide vor einigen Jahren in der Türkei inhaftiert waren, und Can Dündar, der ins Exil fliehen musste, saßen, zum Abschluss des Tages legte „Gegen die Wand“-Regisseur Fatih Akin als DJ auf.

Ich habe mich auf zwei Vorstellungen konzentriert: am frühen Abend hallten laute Schreie über den Vorplatz des Gorki-Studios. Eine größere Menschenmenge drängte sich in dem abgesperrten Bereich bis zum Deutschen Historischen Museum, der israelische Regisseur Omer Krieger und sein Team performten „Eviction“, eine „Public Action“, die Polizeigewalt, Verdrängung und Entmietung thematisiert. Realistisch stellen die Künstler*innen die Auseinandersetzungen zwischen Aktivist*innen und Polizeikräften nach: Nebelschwaden, Hilferufe, Stunt-Performances, Verfolgungsjagden, das Publikum immer mittendrin. Im vergangenen September wurde „Eviction“ beim Israel Festival in Jerusalem uraufgeführt und war nun ans Gorki eingeladen. Mit dieser eindrucksvollen, immersiven Kunstaktion bewies das kuratorische Team des Festivals ein glückliches Händchen: im Gegensatz zu den kleineren Aktionen auf dem Vorplatz im Rahmenprogramm des Theatertreffens war dieses Event nicht zu übersehen und zog interessierte Passant*innen an.

Drinnen auf der Studiobühne folgte später „Alles wird schön sein.“, ein kleiner, nur knapp einstündiger Liederabend des langjährigen Hausregisseurs Hakan Savaş Mican: in der Rahmenhandlung stellt sich Taner Sahintürk als krebskranker Mann vor, der für die Geburt seiner Tochter ein Mixtape aufnimmt. So will er ihr, die er wohl nie kennenlernen wird, in Erinnerung bleiben.

In edler Garderobe haben sich Emre Aksızoğlu (Gorki-Ensemblemitglied am Keyboard) und die beiden Musiker*innen Peer Neumann und Merve Akyildiz neben ihm aufgereiht. Während in der ersten Hälfte deutsche Songs von Roberto Blancos Schlagern bis Rio Reisers „König von Deutschland“, die B-Seite stand dann ganz im Zeichen melancholischer türkischer Musik, zu der Sahintürks Figur jeweils kurze Hintergrundgeschichten lieferte. Die kleine Studioproduktion „Alles wird schön sein.“ kam aber doch nicht über eine Liederabend-Fingerübung hinaus.

Bild: Ute Langkafel MAIFOTO

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