Mein Gott, Herr Pfarrer

„Oh mein Gott! Keiner da“, seufzt Sophie Rois mutterseelenallein auf der Bühne. Die verlorene Tochter ist zurück im Ensemble der Volksbühne. Am Ende einer langen Spielzeit, in der sie regelmäßig mit älteren Produktionen am Deutschen Theater Berlin gastierte, ist sie endlich auch in einer neuen Produktion ihres alten, neuen Arbeitgebers, der Volksbühne zu erleben.

Im Oktober 2022 platzte ihr Volksbühnen-Comeback unter merkwürdigen Umständen, um die sich diverse Gerüchte ranken. Nun ist sie schließlich nach sechs Jahren wieder auf ihrer angestammten Bühne zu erleben und Christine Groß begrüßt sie mit einem kleinen Eröffnungsgag, der fast komplett verpufft: „Sie sind ja sozusagen Inventar“, spottet Groß über die Kollegin Rois und legt nach „Sie gehören zum alten Eisen.“

Zum besseren Verständnis der nun folgenden knapp 90 Minuten empfiehlt es sich, das Interview zu kennen, das Rois der SZ-Rubrik Panorama wenige Tage vor der Premiere gab: „Die fetzigen, tagesaktuellen Themen, das können gerne die anderen machen. (…) Die Themen, die sozusagen auf der Straße liegen, haben mich noch nie interessiert. Ich mochte es schon immer, mich an Projekte zu hängen, denen gerade niemand eine große Zukunft voraussagt.“ Getreu dieser Programmatik verschanzen sich Rois und ihr Co-Star Benny Claessens, der nach dem kurzfristigen Ausstieg vor der Sardanapal-Premiere wieder frisch und munter an Bord ist, im Kosmos der frühen Ingmar Bergman-Filme. Ihr verbales Ping-Pong, in das punktuell auch die Pollesch-Veteraninnen Christine Groß und Inga Busch eingebunden sind, kreist um Motive und übernimmt Dialoge aus den Filmen „Licht im Winter“, „Herbstsonate“ oder „Wie im Spiegel“.

Die großen Bergman-Themen Depression, Selbstzweifel, Einsamkeit und vor allem das existentielle Ringen der Hauptfigur Pastor Ericsson aus dem Film „Licht im Winter“ werden verzwergt. Ein paar Bröckchen werfen Pollesch und sein Team ihrem Publikum hin. Diverse Anspielungen gibt es z.B. auf seinen „Persona“-Film und sein Steuerverfahren in Schweden, vor dem er ans Residenztheater flüchtete. Die Promi-Schauspieler*innen werfen sich ein paar Bälle zu, das ist aber höchstens albern, weder witzig, noch anregend oder gar tiefschürfend. Zu groß ist der Unterschied, zu gering sind die Schnittmengen zwischen dem introvertierten, tiefgründigen Bergman-Kosmos und dem auf Diskursoberflächen surfenden, sein aufgekratztes Fanpublikum bedienenden Pollesch/Rois/Claessens-Kosmos.

Aber da Rois endlich wieder auf der Bühne zu sehen ist und die Latte nach einem mäßig gelungenen Theatertreffen nicht mehr hoch liegt, werden ihre routinierte Darbietung und die gesamte Inszenierung vom Premierenpublikum freudig beklatscht. Nach dem langen Kreisen um den Bergman-Kosmos und theologische Fragen lässt das Quartett den Abend mit etwas Slapstick und Hoppsen auf Bürostühlen (Bühne: Hartmut Meyer), auch der Mädchenchor der Sing-Akademie zu Berlin hat unter dem Tschador und zur Gitarrenbegleitung von Fabian Haag noch ein paar Auftritte. Das „Kyrie“ singen die Mädchen wirklich schön, wenigstens das muss man dem ansonsten enttäuschenden Abend attestieren.

Bild: © Gordon Welters

 

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