Phädra, in Flammen

Dies ist eindeutig der Abend von Constanze Becker. Wie auf ihren Leib geschrieben scheint diese Phädra-Adaption, die Nino Haratischwili während eines BE-Dramatiker:innen-Fonds-Stipendiums in der vergangenen Spielzeit erdacht hat.

Diese Phädra ist eine Urgewalt, ganz in der Tradition von Beckers Klytemnästra in der „Orestie“, ihrer Medea oder ihrer Penthesilea, all ihrer berühmten Rollen in den wuchtigen antiken Tragödien von Michael Thalheimer. In den vergangenen Jahren verschwand sie am Berliner Ensemble oft in der zweiten Rolle, war häufig in Rollen zu sehen, die zu leichtgewichtig waren und sie zu unterfordern schienen. Stefanie Reinsperger, die vor einem Jahr in einer „Phädra“-Bearbeitung über die kleinere Bühne im Neuen Haus tobte, war stärker präsent, ist aber nicht mehr Ensemble-Mitglied, sondern gastiert künftig nur noch am Schiffbauerdamm.

„Phädra, in Flammen“ ist also eine Art Comeback dieser großen Schauspielerin, die alle Register ihres Könnens ziehen darf. Eingesperrt zwischen drei Stellwände (Bühne: Elsje de Brujin), auf die Videos und Standbilder voller Tristesse projiziert werden (Video: Daan Emmen), kauert Beckers Phädra am Boden und schleudert die Wut auf ihre unglückliche Ehe mit Theseus heraus (Oliver Kraushaar als Karikatur toxischer Männlichkeit, halbnackt brüllend und ins Bärenfell gewickelt).

Eine Stärke des Textes der deutsch-georgischen Autorin Haratischwili ist, dass sie mit den Sprachebenen jongliert. Der hohe Tragödien-Ton der Weltschmerz-Klage schlägt häufig um in Alltags- und Gossensprache, mit der Beckers Phädra ihre ganze Verachtung über ihre mediokre Umgebung hinrotzt. Wie sie ihre spätere Geliebte Persea (Lili Epply) bei einer der ersten Begegnungen mit einem höhnischen „Überschätz Dich nicht, Mäuschen“ auflaufen lässt, oder die verächtlich heruntergezogenen Mundwinkel in späteren Szenen machen diese Rolle von Constanze Becker auf der kleinen Bühne zu einem der Höhepunkte der zu Ende gehenden Spielzeit am BE.

Jenseits von Becker lässt der Abend wenig Raum, ihr Sohn Demophon (Maximilian Diehle) ist ebenso Karikatur wie Kraushaars Theseus. Zum stärksten Gegenspieler der Phädra wird der Tempelherr Panopeus (Paul Herwig), der als orthodoxer Fundamentalist und eiskalter Strippenzieher die Liebe zwischen Phädra und Persea zerstört und letztere als Menschenopfer auf dem Scheiterhaufen verbrennen lässt. Laut Programmheft hatte Haratischwili die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Pride-Aktivist*innen und Kirche/Regierung in ihrer georgischen Heimat vor Augen. Wie zerrissen das Land zwischen Ost und West, Demokratie und Autoritarismus ist, wurde im Februar/März bei der Eskalation der Proteste gegen das sogenannte „Agentengesetz“ deutlich und auch beim „Medea“-Radar Ost-Gastspiel thematisiert.

Haratischwilis Überschreibung erreicht natürlich nicht die Komplexität ihrer dicken, preisgekrönten Romane, die Jette Steckel mehrfach am Thalia Theater adaptiert hat. Ihre „Phädra, in Flammen“ ist eine typische Überschreibung, die vom Mythos nur Spuren-Elemente lässt und mit der scheiternden lesbischen Emanzipation eine neue Geschichte erzählt. Zum Auftakt ihrer Antiken-Trilogie, die nächste Spielzeit ein paar Meter weiter in der DT-Kammer mit einer von ihr selbst zweisprachig (deutsch/georgisch) inszenierten „Penthesilea“-Überschreibung weitergehen wird, wie sie am Donnerstag im Gespräch mit der neuen Intendantin Iris Laufenberg berichtete, bleibt das antike Setting im Gegensatz zu radikaleren Überschreibungen erhalten (Kostüme von Wojciech Dziedzic, Namen der Figuren).

Sehr zurückhaltend und ganz auf Becker zugeschnitten inszenierte Nanouk Leopold diese 2 Stunden 20 Minuten lange Koproduktion des BE mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen. Die Niederländerin ist dem Berliner Publikum vor allem aus Kosslicks Berlinale-Ära bekannt, wo sie regelmäßig mit Filmen in die Nebenreihen Forum, Panorama und Generation eingeladen war. Ihre erste Berliner Theaterarbeit, „Anatomie eines Suizids“ von 2021, ebenfalls im Neuen Haus präsentiert, steht nicht mehr auf dem Spielplan des Berliner Ensembles.

Interessant wird es sein, wie dieser Haratischwili-Text ohne die Hauptdarstellerin Becker funktionieren wird: für Oktober 2023 ist eine Wiener Inszenierung von Tina Lanik im Akademietheater angekündigt. Noch nicht bekannt ist, welcher Burgtheater-Star diese Rolle übernehmen wird.

Bild: JR Ensemble

 

 

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