The Beast

Viel hat sich der französische Autorenfilmer Bertrand Bonello mit „The Beast/La Bête“ vorgenommen. In seinem auf knapp 2,5 Stunden ausufernden Werk mixt er ein Melodram aus den Pariser Salons der Jahrhundertwende mit einem Incel-Thriller aus der Model-Welt von L.A. mit einer SciFi-Reflexion über die KI, die im Jahr 2044 die Herrschaft übernommen hat.

Gabrielle (Léa Seydoux) ist mit den niederen Tätigkeiten, die den Menschen in naher Zukunft bleiben, nicht zufrieden und fühlt sich unausgelastet, die Temperatur in einem Museumsraum regelmäßig zu prüfen. Die KI reagiert spöttisch, lässt sich aber doch unter einer Bedingung auf einen Jobwechsel ein: Gabrielle muss ihre DNA erst dekontaminieren und sich von allen Emotionen befreien.

Dafür wird sie per Zeitreise in die Vergangenheit katapultiert: im Paris des Jahres 1910 ist sie eine Musikerin, die sich mit ihrem Mann langweilt und schließlich für den Liebhaber Louis (George McKay) entscheidet. Bonello kostet alle Konventionen dieses Genres aus, quälend lang gerät ihm dieser Salon-Elegie-Erzählstrang.

Später findet sich Gabrielle als Model in einer Villa in L.A. wieder. Wie aus einer Bret Easton Ellis-Phantasie gerät sie dort an Louis Lewinski (wieder McKay), der sich an allen Frauen rächen will, dass er mit 30 Jahren immer noch keinen Sex hatte und stets abgewiesen wird. Bonello spielt damit, die Thriller-Handlung dieses zweiten Strangs immer wieder an die Grundmotive Liebe, Einsamkeit und was die menschliche Existenz ausmacht zurückzubinden.

Zusammengeführt wird dies im dritten Strang mit Gabrielles Scheitern, ihre Gefühle so abzutöten, wie es die Puppe Kelly (Guslagie Malanda) längst beherrscht. Zwischen den Zeiten landet Gabrielle immer wieder in Pariser Clubs quer durch die Zeiten, kann die feiernde Menge, die zum jeweiligen Musik-Geschmack des Zeitgeists, z.B. der New Wave-Hymne „Fade to Grey“ Anfang der 1980er, nur als Außenstehende beobachten, ohne wirklich einzutauchen.

In diesen kurzen Motiven ähnelt „La Bête“ auch am stärksten der „Das Tier im Dschungel“-Verfilmung von Patric Chiha, die im Berlinale Panorama 2023 Premiere hatte und diese Woche in den Kinos startet. Es ist ein interessanter Zufall, dass mit Bonello und Chiha gleich zwei französische Filmemacher dieselbe Kurzgeschichte für einen Neuverfilmung ausgewählt haben: die rätselhafte Novelle „Das Tier im Dschungel“ von Henry James.

Beide gehen sehr frei mit dem Stoff um, verlegen ihn in unterschiedliche Zeiten und beweisen ihre Originalität als Filmemacher. Verbindendes Element, das in beiden Filmen auftaucht, ist nur die Trance-Atmosphäre in den Clubs.

Ein großer Verlust ist, dass Gaspard Ulliel, der mit Bonello schon im Saint Laurent-Biopic zusammenarbeitete, kurz vor den Dreharbeiten tödlich verunglückte. Was wäre es für ein Erlebnis gewesen, ihn als eleganten Salon-Liebhaber und Incel-Rächer auf der Leinwand sehen zu dürfen. Für ihn sprang McKay ein.

Aus all den Ebenen und Motiven entsteht ein rätselhaft-bemerkenswerter Film, der sicher zu den ambitionierteren und interessanteren Filmen des Festival-Jahrgangs zählt, sich allerdings auch in einigen Längen verliert, in denen Bonello seine Kunstfertigkeit zu demonstrativ ausstellt.

„The Beast“ hatte im Wettbewerb von Venedig im September 2023 Premiere und lief kurz danach auch auf den Festivals in Toronto und Hamburg als Deutschland-Premiere.

Bild: Filmfest Hamburg

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