Cement Beograd

In zwei grundverschiedene Hälften zerfällt die serbische Heiner Müller-Überschreibung „Cement Beograd“, die heute beim 6. Gorki-Herbstsalon „Lost – You Go Slavia“ gastierte.

Eine Stunde lang hämmert Techno in Endlosschleife, sechs junge und nicht mehr ganz so junge  Tänzer*innen feiern und springen in einer Choreographie von Ana Dubljević. Dazwischen rufen sie Slogans und Parolen in die Mikros vorne an der Rampe, die Solidarität und Aufbruchstimmung propagieren.

Unermüdlich stampfen und hüpfen sie weiter, während das Bühnen-Räumkommando umbaut und sie hinausscheucht. Die zweite Stunde spielt in der ärmlichen Wohnung eines alten Belgrader Ehepaars. Er (Miodrag Miki Krstovic) ist dement und so hilfsbedürftig, dass er stürzt und sich blaue Flecken zuzieht, während sie (Milena Zupančič) draußen unterwegs ist. Die Rente ist so mickrig, dass es zehn Tage vor Monatsende nicht mal mehr für Kekse zum Tee und für das Austauschen der nur noch schwach flackernden Küchenlampe reicht.

Hyperrealistisch inszeniert Sebastijan Horvat in dieser Produktion des Belgrader Dramatheaters das Aneinandervorbeireden des alten Paares, seine Krankheit ist so weit fortgeschritten, dass sie nicht mehr zu ihm durchdringt und er die Namen der Bekannten und Verwandten nicht mehr zuordnen kann.

Diese Alters-Demenz soll sehr plakativ die politische Demenz spiegeln, die Regisseur Horvat und Milan Ramšak Marković, der Autor und Dramaturg dieser Müller-Überschreibung, den postjugoslawischen Gesellschaften zwei Jahrzehnte nach den Balkankriegen diagnostizieren. Dass das Geschehen im Belgrad des Jahres 2021 verortet ist, machen Radio-Meldungen über die Folgen des Corona-Lockdowns und innenpolitische Auseinandersetzungen deutlich, die an dem alten Mann vorbeirauschen.

Die Belgrader „Zement“-Überschreibung bildete für Horvat den Abschluss einer Trilogie nach zwei Adaptionen des Stoffs in Zagreb und Ljubljana. Von Heiner Müllers Vorlage bleiben in dieser sehr freien Weiterschreibung nur Motive und Spurenelemente, so soll das alte Ehepaar an die Hauptfigure Dascha und Gleb Tschumalow erinnern. Beide knapp einstündigen, ohne Pause aneinandergereihten Einzelteile strapazieren durch ihre Loops und demonstrative Tristesse der zweiten Hälfte die Geduld des Publikums. Zu einem schlüssigen Ganzen fügen sie sich nicht.

Bilder: Dragana Udovičić

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert