Coming Out

Kaum ein Film atmet so viel Geschichte wie Heiner Carows „Coming out“: es war nicht nur die erste DEFA-Produktion, die Homosexualität in der DDR offen thematisierte, sondern hatte ein ganz besonderes Premieren-Datum: Am 9. November 1989 wurde er im Kino International uraufgeführt. Als die Zuschauer nach dem Film ins Foyer strömten, sahen sie durch die großen Fenster-Fronten, wie sich die Kolonne der Trabbis gen Westen zu den überraschend geöffneten Grenzübergängen wälzte.

Der Film ist heute, dreieinhalb Jahrzehnte später, ein sehenswertes Zeitdokument, der ein graues Ost-Berlin einfängt, das nach den Vereinigungs- und Gentrifizierungs-Prozessen ein völlig anderes Gesicht bekommen hat. Markante Orte wie der Fernsehturm oder das Konzerthaus am Gendarmenmarkt, vor und in dem mehrere Schlüsselszenen spielen, bieten dem heutigen Zuschauer die nötige Orientierung, da die Originalschauplätze kaum wiederzuerkennen sind. Der zentrale Drehort ist die legendäre, zehn Jahre nach dem Mauerfall geschlossene Kneipe „Zum Burgfrieden“, die als Treffpunkt der Schwulen-Szene Ost-Berlins geduldet wurde.

„Coming out“ ist aber natürlich viel mehr als Leinwand-Geschichtsunterricht, sondern ein packendes Melodram, das beim ersten Sehen vor zehn Jahren noch viel tieferen Eindruck auf mich hatte. Wie im Herbst 2013 wurde Carows Kultfilm auch gestern Abend am Premieren-Ort wiederaufgeführt, diesmal war ein doppeltes Jubiläum der Anlass: 25 Jahre MonGay und der 60. Geburtstag des Kino International, das nach den Feierlichkeiten der nächsten Monate umfassend saniert werden soll.

rbb-Moderator Knut Elstermann und Hauptdarsteller Matthias Freihof (Philipp Klarmann) stimmten das Publikum mit einigen Anekdoten und Hintergrundgeschichten auf den Filmabend ein. Ein spannendes Detail ist zum Beispiel, dass Dirk Kummer, der die zweite Hauptrolle als Philipps Liebhaber Matthias spielt, ursprünglich nur als Regieassistent vorgesehen war. Doch als Anspielpartner im Casting war er so überzeugend, dass Carow ihm diese Rolle anvertraute. Heute führt er vor allem bei TV-Produktionen wie der Grimme-Preis-nominierten Serie „Warten auf den Bus“ selbst Regie.

In klaustrophobisch engen Räumen zeichnet Carows „Coming Out“ die Zerrissenheit des jungen Lehrers Philipp nach: schon als Jugendlicher hatte er eine kleine Affäre mit Jakob (Axel Wandtke, der heute vor allem für Herbert Fritschs Theater-Arbeiten vertraut und an der Schaubühne engagiert ist), verdrängte aber seine Homosexualität. Tanja (Dagmar Manzel, die damals schon als junge Schauspielerin am DT Berlin engagiert war und die steilste Karriere aus dem Film-Cast machte) umgarnt ihn, auf diese Avancen lässt er sich bereitwillig ein. Bei ersten Ausflügen an die Szene-Treffpunkte verliebt er sich jedoch in den offen schwulen Matthias (Kummer) und laviert durch ein Doppelleben, das Verletzungen bei allen Beteiligten hinterlässt.

„Coming out“ war gleich nach der Premiere ein Hit: Regisseur Carow und Hauptdarsteller Freihof als bester Nachwuchs-Darsteller wurden bei der letzten Verleihung des Nationalen Filmpreises der DDR in Karl Marx-Stadt 1990 ausgezeichnet, bei der Berlinale im Februar 1990 gewann der Film nicht nur den schwul-lesbischen Teddy, sondern auch einen Silbernen Bären für eine herausragende künstlerische Leistung.

Bild: DEFA-Stiftung, Wolfgang Fritsche

 

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