The Silence

Acht Jahre nach „The Fear“ seiner Abrechnung mit Pegida und der AfD kehrt Falk Richter an seiner Berliner Stammhaus, die Schaubühne am Lehniner Platz, zurück und bohrt tief in den Wunden der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft. Mitgebracht hat er dafür Dimitrij Schaad, lange Jahre eines der Aushängeschilder des Gorki Theaters. Er führt sich mit einem gewohnt flapsigen Spruch ein, vergleicht die traditionsreiche Schaubühne mit dem FC Bayern, und wird dann vom „Dimi“ zum Alter ego des Regisseurs. Zweite Mitstreiterin des Abends ist Doris Waltraud Richter, die Mutter des Regisseurs, die er nach dem Tod des Vaters mit drängenden Fragen am Küchentisch in Buchholz/Nordheide konfrontierte. Videos dieser Gespräche werden in Atempausen von Schaads Monolog eingespielt.

Damit ist auch schon die recht einfache Grundstruktur des knapp zweistündigen Abends zusammengefasst. Dass diese simple Konstruktion wirkt, ist vor allem drei Faktoren zu verdanken: Erstens der Energieleistung von Schaad, der sich durch den Text tankt und vor allem in den wütend-emotionalen Momenten zu großer Form aufläuft, z.B. wenn er sich in Rage über homofeindliche Gewalt redet und die bewaffnete Gegenwehr fordert. Zweitens der rückhaltlosen Offenheit, mit der Richter die Verletzungen seiner Generation und die von den Eltern weitergegebenen Traumata ausbreitet. Natürlich ist vieles, vor allem in der zweiten Hälfte, wenn er sein Alter ego über Beziehungsmodelle jenseits der Heteronormativität nachdenken lässt, autofiktional überformt. Aber der Kern des Abends, die Gespräche mit der Mutter, die bis heute abblockt, verdrängt und ausweicht, ist erschreckend real.

Kurz vor Schluss schlüpft Schaad in die Rolle der Therapeutin des Regisseurs und nimmt die ältere Dame in Schutz: diese Textpassage macht deutlich, dass Frau Richter die Mauer des Schweigens als Abwehrmechanismus aufbaute, um weiterleben zu können. Drittens überzeugt „The Silence“, weil Richter hier nicht irgendein Einzel-Schicksal eines Jugendlichen aus der bundesrepublikanischen Provinz zwischen den 1960ern und 1980ern erzählt, sondern exemplarisch die Wunden und Verdrängungsmechanismen aufzeigt, die sich in jenen Jahrzehnten in unsere Gesellschaft eingeschrieben haben.

„The Silence“ ist ein beklemmender und sehr persönlicher Abend des Regisseurs, der sich und die seelischen Verletzungen seiner Generation mit beeindruckender Offenheit analysiert. Nach der heutigen Premiere sind bereits alle Folge-Vorstellungen bis zum Jahresende ausverkauft.

Dieser starke Abend überzeugte auch die Theatertreffen-Jury und wurde in die 10er Auswahl des Jahrgangs 2024 eingeladen. Im selben Monat wird „The Silence“ auch beim Mülheimer Uraufführungs-Festival zu sehen sein.

Bilder: Gianmarco Bresadola

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