Die Katze auf dem heißen Blechdach

In zwei Teile zerfällt Anne Lenks neue Arbeit am Deutschen Theater Berlin. In der ersten Stunde setzt sie auf das bewährte Rezept vergangener Inszenierungen. Frau nehme einen Klassiker, kostümiere die Spieler in den opulenten Kostümen von Sibylle Wallum als Karikaturen, trenne die Szenen durch Blacks und bürste den bekannten Stoff etwas gegen den Strich: nicht zu heftig, um das meist konservative und ältere Publikum, das diese Stoffe von Molière über Schiller bis Lessing nun mal anlockt, nicht zu vergraueln, aber doch so, dass eine Prise Feminismus spürbar und die Frauenrollen dezent aufgewertet werden.

Dieses bewährte Erfolgsmodell versuchten Regisseurin Anne Lenk und ihr Dramaturg David Heiligers auch dem moderneren Klassiker „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ von Tennessee Williams aus dem Jahr 1955 überzustülpen. Das funktioniert noch ganz gut, solange sich die ersten Szenen auf den Schlafzimmer-Schlagabtausch von Margaret (Lorena Handschin) und Brick (Jeremy Mockridge) konzentrieren. In Unterwäsche handeln die beiden ihr Beziehungsmodell und sprechen deutlich aus, was in der berühmten Hollywood-Verfilmung mit Liz Taylor und Paul Newman wegen der prüden, queerfeindlichen Regeln des Hays Conduct nur verschämt zwischen den Zeilen zu lesen war: Maggie und Brick haben sich arrangiert, leben ein freundschaftlich-platonisches Modell, leidenschaftlichen Sex hat Brick stattdessen mit seinem Sportler-Kumpel und Jugendfreund Skipper. Nach dessen plötzlichem Tod wurde Brick zum Alkoholiker und geriet das gesamte Arrangement aus dem Lot.

Sobald sich das Figuren-Panorama weitet und neben Big Mama (Miriam Maertens) noch Bruder (Jonas Hien) mit seiner Frau (Julischka Eichel) und einer ganzen Armada von Kindern auftauchen, geiern alle auf das Erbe des Patriarchen und droht der Abend mit Witzeleien und allzu stereotypen Figuren in einer Sackgasse zu landen.

Zum Glück reißt Uli Matthes, der Elder Statesman des DT, der sich fast nur noch in Lesungen und eben Neuinszenierungen von Anne Lenk die Ehre gibt, den Abend an sich. Als „Big Daddy“ tritt er zunächst wie die Karikatur des rechthaberischen, alten, weißen Mannes auf. Im Schlagabtausch mit dem Lieblingssohn Brick (Jeremy Mockridge) gelingt es beiden, dass ihre Figuren differenzierter werden und der Abend die nötige Fallhöhe erreicht. Statt Komödie wird nun Lebenslügen-Drama gespielt, Brick wird vom halbnackten Schönling zu einem Verzweifelten, der seine seelische Not offenlegt und seinem Vater mit der verdrängten Wahrheit, dass dies sein letzter Geburtstag sein wird, einen Wirkungstreffer versetzt. Vor allem wird diese zweite Hälfte aber zum großen Auftritt von Uli Matthes.

Die Post-Lockdown-Monate zeigen: nichts lockt das Publikum so zuverlässig zurück in die Theater wie bekannte Namen in zentralen Rollen. Matthes spielt eine typische Matthes-Rolle und trumpft als um sich schlagender Patriarch auf, dessen Aggressivität nur davon ablenken soll, dass ihm längst die Felle davon geschwommen sind. Die nächsten Dezember-Vorstellungen sind natürlich bereits ausverkauft, was bei anderen Neuproduktionen seltener der Fall ist.

Bilder: Konrad Fersterer

 

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