Zwei prägende Choreographinnen der aktuellen Tanzszene stellten sich an einem Doppelabend in der Staatsoper Unter den Linden vor: die Spanierin Sol León war fast 20 Jahre gemeinsam mit Paul Lightfoot Hauschoreographin des Nederlands Dans Theaters. Ihr langjähriger Arbeitspartner arbeitete auch bei der Bühnen-Gestaltung ihrer neuen Produktion „Stars like Moths“ mit ihr zusammen, für die Choreographie zeichnet León aber alleine verantwortlich.
Dieses Stück ist eine knapp 45 Minuten kurze poetisch-skurrile Clownerie, die sich mit dem Werden und Vergehen allen irdischen Lebens befasst. Ganz unscheinbar kommt keine Geringere als Polina Semionova, die dem Staatsballett Berlin weiter als Principal Guest verbunden ist, auf die Bühne und lässt sich von Matthew Knight mit einer Wassermelone füttern. Mit diesem unerwarteten Moment beginnt eine musikalische Reise durch Barock-Musik von Bach oder Rameau und ätherisch angehauchte zeitgenössische Musik von Jóhann Jóhannson und Hilldur Guonadóttir. Das Ensemble trägt Kostüme von Joke Visser und Hermien Hollander, die zunächst an Windeln, später an Totenhemden erinnern.
In einer poetischen Schlusseinstellung nahe an der Kitschgrenze blicken alle gemeinsam auf eine Sternenhimmel-Projektion von Ennya Larmit. Typisch für diese kleine Arbeit ist, dass die Atmosphäre ironisch gebrochen wird und sich einer der Partner von Semionova, die sie umschwirren, lakonisch verabschiedet: er müsse jetzt verschwinden. Wie alle anderen friert er in der Bewegung ein, zurück bleibt die Star-Tänzerin im Zentrum, die sich wieder ihrer Wassermelone widmet.
Noch etwas kürzer ist die Arbeit von Sharon Eyal und ihrem bewährten Co-Choreographen Gai Behar, der wie der gesamte Doppelabend „2 Chapters Love“ heißt. Mit den für das israelische Duo typischen minimalistisch-zuckenden Bewegungen kommt Danielle Muir nach der Pause allein auf die Bühne. Sie ist das Bindeglied zwischen den stilistisch ganz unterschiedlichen Einzelteilen, was die Probenarbeit der künstlerischen Teams erschwerte, die nicht wie gewohnt parallel arbeiten konnten, wie Dramaturgin Katja Wiegand berichtete.
Nach und nach kommt das übrige Tanz-Ensemble hinzu und formiert sich zu einer martialischen Phalanx, während der Techno-Score von Ori Lichtik anschwillt. Beides ist für Eyals Regiehandschrift prägend. Die Kostüme von Isabel Theißen erinnern im Gegensatz zu früheren Arbeiten nicht an Roboter-Science-Fiction oder Berghain-Clubnächte, sondern wurden von antiken griechischen Marmorstatuen von Göttern wie Apoll inspiriert. Wie in Stein gemeißelt wirken die Körper der Tänzer*innen in ihren enganliegenden Bodysuits. In düstere Lichtstimmung taucht Alon Cohen das Bühnengeschehen.
Ein Meilenstein wie „Half Life“, mit dem sich Eyal 2018 in Berlin vorstellte und einen Triumph feierte, ist der neue Abend nicht. „2 Chapters Love“ ist zu sehr eine Variation bekannter Stilmittel und schon der Titel macht deutlich, dass sie sich unmittelbar auf ein früheres Stück, nämlich „Love Chapter 2“ (2017), bezieht. Sehenswert ist diese Choreographie dennoch: auch wenn sich Sharon Eyal nicht neu erfindet und sicher auch nicht die Wucht und das hohe Energie-Level von „Half Life“ erreicht, beeindruckt immer noch die Präzision, mit der sie bekannte Muster durchexerziert und leicht variiert.
Bilder: Carlos Quezada