Szenische Lesung Correctiv-Recherche

Was für ein Coup! Die Correctiv-Recherche über ein Geheimtreffen eines rechtsnationalen Zirkels aus Unternehmern, einem Zahnarzt, der seine ganze Familie für die völkische Sache begeistert einspannt, Frauen aus der Werteunion, die gerade vom Verein zur Partei mutieren möchte, Martin Sellner, dem Vordenker der Identitären Bewegung, einer AfD-Bundestagsabgeordneten, dem AfD-Fraktionsvorsitzenden im Landtag von Sachsen-Anhalt, und einem Referenten der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel schlug von Tag 1 an hohe Wellen. 

Um „Remigration“ soll es bei diesem Treffen in einer Potsdamer Villa im November 2023 gegangen sein, um die Frage, wie man Migrantinnen und Migranten aus Deutschland hinausschaffen könne. Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestags-Fraktion, Bernd Baumann, spielte im ARD-„Bericht aus Berlin“ das Treffen als rein private Begegnung herunter und wirft dem politischen Gegner vor, angesichts der Umfrage-Höhenflüge zum letzten Mittel „infamer Hetze“ zu greifen. Seine Partei sei die einzige, die für Recht und Ordnung sorge und Migranten, die ohne rechtmäßigen Aufenthaltstitel hier seien, konsequent abschieben wolle. Auch die Parteivorsitzende wies alle Vorwürfe zurück, trennte sich dennoch von ihrem Mitarbeiter.

Aller Beschwichtigungsversuche und Ausweichmanöver der AfD zum Trotz wuchs die gesellschaftliche Empörung von Tag zu Tag. In Metropolen wie München und Hamburg mussten Protest-Kundgebungen, zu denen breite Bündnisse aufgerufen haben, wegen Überfüllung geschlossen werden. Aber auch in vielen kleineren Städten mobilisierte die Zivilgesellschaft. Wahrscheinlich hat nicht mal Correctiv selbst erwartet, dass die Enthüllungen von Lolita Lax und Jean Peters (natürlich beides Pseudonyme) ein solches Beben auslösen und die Debatte so viel Fahrt aufnehmen würde.

Einen Coup landeten auch Oliver Reese und Kay Voges: die Intendanten des Berliner Ensembles und Volkstheaters Wien sind dafür bekannt, dass sie großen Wert auf Marketing legen und haben ein Gespür für den richtigen Moment bewiesen. Die Correctiv-Recherche wurde eine Woche nach ihrer Veröffentlichung in einer szenischen Lesung im BE präsentiert, bei der beide Häuser kooperierten und Voges Regie führte. Der Abend war blitzschnell ausverkauft, Nachtkritik beteiligte sich an einem Stream, viele andere Häuser in der ganzen Republik richteten Public Viewings ein.

In edler Abendgarderobe nahmen die Schauspieler an einer Tafel Platz und schlüpften in die Rollen der Akteure. Wann immer sich eine neue Figur aufstellte, war es Constanze Beckers Aufgabe, mit erhobenem Zeigefinger darauf hinzuweisen, dass nun ja kein falsches Wort fallen dürfe, da sonst rechtliche Konsequenzen drohten: das Label „Faschist“ dürfe z.B. auf keinen Fall verwendet werden. Der Ton schwankte zwischen Polit-Comedy und Volkstheater, die Figuren wurden oft zu Pappkameraden oder Karikaturen überzeichnet. Regelrecht albern wurde es, als Laura Talenti in grotesker Verkleidung mehrfach in die Versammlung hineinschlurfte und nach Kaffee fragte.

Max Gindorff bei der szenischen Lesung

Zwischen den medial bereits bekannten und tagelang ausführlich besprochenen Grundzügen der Recherche tauchte – wie angekündigt – auch ein neues Detail auf: Mario Müller, Mitarbeiter eines MdBs der AfD, soll bei dem Treffen in der Villa berichtet haben, wie er mit anderen rechten Gesinnungsgenossen gegen Autonome und Antifa vorging. Ein kurzer Moment, in dem die Brisanz der Lage aufblitzte, auch weil Veit Schubert hier auf den sonst vorherrschenden augenzwinkernden Grundton verzichtet.

Dem langjährigen BE-Ensemble-Mitglied Schubert, der als einer der wenigen schon zu Claus Peymanns Zeit am Haus war, ist auch der kämpferische Schlussappell vorbehalten, gemeinsam die Demokratie zu verteidigen, der in eine Empowerment-Selbstfeier des vollbesetzten Hauses mündete.

Bilder: Kolja Zinngrebe

 

 

 

 

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