In einem heruntergekommenen Londoner Miets-Hochhaus wohnen nur zwei Einzelgänger: Adam (Andrew Scott), der sich an einem Roman über seine Kindheit versucht, und der zwanzig Jahre jüngere Harry (Paul Mescal), der in den Tag hineinlebt und etwas zu viel Alkohol konsumiert.

Vom ersten Flirt an der Wohnungstür von Adam, der den draufgängerischen Harry mit einer Mischung aus Faszination und Abwehrhaltung beäugt, über den Austausch von Zärtlichkeiten wächst die Vertrautheit zwischen den beiden Männern.

Der neue Film des Briten Andrew Haig ist aber mehr als ein schwules Beziehungsdrama. In Tagträumen und Rückblenden findet sich Adam immer wieder im Haus seiner Kindheit wieder: als er 12 war, starben seine Eltern (Claire Foy und Jamie Bell) bei einem Autounfall. Er wuchs als Waise auf, hineingeboren in die Ära von queerer Ausgrenzung, AIDS und Maggie Thatcher.

Zu den besten Szenen des Films gehören die Szenen, in denen sich die Eltern und ihr Sohn, der mittlerweile so alt ist, wie sie nie wurden, an die Wunden, Traumata und das Unausgesprochene herantasten. Die Mutter platzt fast vor stolz, dass ihr Sohn Schriftsteller ist, seine prekäre Existenz und Erfolglosigkeit blendet sie aus. Neugierig fragt sie nach seiner Freundin und blockt dann komplett ab, als er sich outet. „All of Us Strangers“ wird somit auch zur Reflexion, wie sich der Umgang mit Homosexualität in den vergangenen Jahrzehnten in den westlichen Gesellschaften änderte. Den Vater, der schon immer ahnte, dass sein Sohn auf Männer steht, konfrontiert Adam mit der Frage, warum er ihn nie tröstete, als er merkte, dass er unter Schulhof-Mobbing litt.

Jamie Bell and Claire Foy in ALL OF US STRANGERS.

Mit viel 80er Jahre-Musik ist „All of Us Strangers“ zur traurig-schönen Geschichte über lauter verletzte Seelen. Regisseur und Drehbuchautor Haigh versteht es geschickt, die beiden Erzählstränge zu verzahnen und viel Unausgesprochenes in der Schwebe zu halten. Nur ganz am Ende, als mit Frankie goes to Hollywood die „Power of Love“ beschworen wird, droht der Kitsch dann doch die Oberhand zu gewinnen.

Das Drama hatte im September 2023 beim Telluride Festival Premiere, lief zum Abschluss des Festivals Around the World in 14 films im Dezember 2023 und startet nach der fast bis zum letzten Platz besetzten Preview im Kino International am 8. Februar 2024 in den deutschen Kinos.

Photos by Chris Harris. Courtesy of Searchlight Pictures. © 2023 20th Century Studios All Rights Reserved.

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