Schall & Rausch

Den Turner Yuri van Gelder kennen hierzulande wohl nur die wenigsten. Anders sieht es in den Niederlanden aus: er war ein vielversprechendes Talent, wurde 2005 nach einem Welt- und drei Europameistertiteln zum Sportler des Jahres in seiner Heimat gewählt, als „Lord of the Rings“ gefeiert, stand jedoch 2009 vor den Trümmern seiner Karriere, als bei einer Dopingkontrolle Kokain nachgewiesen wurde. Nach Sperre und Suspendierung aus dem Sportkader der Armee kämpfte er sich zurück, schaffte im zweiten Anlauf die Qualifkation zu den Olympischen Spielen in Rio 2016. Im Finale konnte er nicht antreten, da ihn das NOK erneut suspendierte: er war bei einer Sauftour kurz vor dem Wettkampf erwischt worden.

Dieser Athlet, der sich mit so viel Einsatz an die Spitze kämpfte, über eigene Fehler und seinen Rauschzustand stürzte, sich zurückkämpfte und erneut über seine Fehler und seinen Rausch stürzte, bietet so viel tragikomisches Potenzial, dass man ein großes Biopic oder eine mehrteilige Serie über ihn drehen könnte. Das niederländische Performance-Kollektiv entschied sich, seine Geschichte in dem 40minütigen Stück „Yuri“ zu erzählen.

In einer kraftraubenden Performance schildern sie Aufstieg und Fall, Wiederaufstieg und erneuten Fall aus der Ich-Perspektive ihrer Figur. Fast nonstop sind sie in Bewegung und keuchen die auf Englisch übertitelte Lebensgeschichte in die  Mikros, während sie ihr Workout-Programm im KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst durchziehen. Von dieser einen Idee lebt die kurze Performance. Die Figur Yuri hätte noch mehr spannendes Material für weitere Auseinandersetzungen geboten.

Wenige Gehminuten entfernt lud Daniel Cremer zu „Like A Prayer“ ins SchwuZ. Nach „Born to Make you happy“ und „The Miracle of Love“, das 2019 beim Gorki-Herbstsalon zu sehen war, schließt er mit dieser Solo-Performance eine Trilogie ab. Zwei Inspirationsquellen nennt Cremer auf dem Abendzettel: die Popheroin Madonna, der monatlich mit der „Madonnamania“-Party im SchwuZ gehuldigt wird, und der Schlager-Nackt-Party am selben Ort.

Daniel Cremer in „Like a Prayer“, Bild: Arsene Marquis

Die einstündige Performance könnte man am ehesten als Stand up-Comedy mit ein paar Mitmachaktionen und eingestreuten Schlagern aus den 1970ern und 1980ern beschreiben. Garniert wird das Ganze mit einem Trommelritual und der wiederholten Beschwörung, wie einzigartig jedes Individuum sei. Das Publikum hatte seinen Spaß zum Ausklang des Wochenendes, aber dramaturgisch gelungen war dieser ziemlich belanglose Stand up-Auftritt nicht.

Beide Shows liefen an diesem Wochenende im Rahmen des „Schall & Rausch-Festivals für brandneues Musiktheater“, das die Komische Oper Berlin vom 9.-18. Februar 2024 an mehreren Neuköllner Orten veranstaltet.

Bild zu „Yuri“: Jochem Jurgens

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