Eine Reihe schöner Miniaturen hat dieser Abend zu bieten: Marcel Kohler, der vom DT an den Kudamm wechselte, und Martin Bruchmann spielen das Künstlerpaar in der Krise. Je lautstärker Kohler seinem Partner vorwirft, dass er sich gar nicht mehr wahrgenommen fühle, desto einsilbiger zieht dieser sich in seine Musik zurück. Wie schon in „Bucket List“ überzeugt auch in dieser Schaubühnen-Produktion die hohe musikalische Qualität des Ensembles. Martin Bruchmann, der sich nach ersten Stadttheater-Engagements in Nürnberg und Stuttgart ein zweites Standbein als Musiker aufbaute, singt sehnsuchtsvolle Balladen am Klavier und beherrscht auch den härteren Sound an der E-Gitarre.
Zu den Glanzlichtern des Abends zählt auch Jule Böwe als kratzbürstige Film-Agentin, die an ihrem 54. Geburtstag ganz allein zu Hause sitzt. Und so sehnsuchtsvoll kann auch kaum eine Schauspielerin schmachten wie Ursina Lardi, die nach ihren Solo-Projekten mit Milo Rau und den Off-Inszenierungen mit ihrer eingeschworenen Clique endlich wieder in einem Ensemble-Stück an der Schaubühne zu sehen ist.
Daraus hätte ein melancholisch-leichter 90minütiger Falk Richter-Abend über die Einsamkeit schöner Menschen in Luxuswohnungen werden können, wie es ihm z.B. vor einem Jahrzehnt mit Never forever gelang. Doch in seiner zweiten Arbeit nach seinem Schaubühnen-Comeback konnte sich Richter nicht recht entschieden: der mit 2,5 Stunden deutlich zu lange Abend changiert zwischen Milieu-Studie, Gesellschaftsanalyse, Kunstbetriebssatire und Boulevard-Komödie. Eine unglückliche Entscheidung war, dass die einzelnen, für sich genommen oft überzeugenden Fragmente durch einen Film im Stück zusammengehalten werden soll. Kohlers unglücklich liebender Regisseur hat auch im Beruf wenig Glück und scheitert an einem „Die Stunde, da wir nichts voneinander wissen wollten – 71 Fragmente der Einsamkeit“-Projekt, das im Titel Peter Handke parodiert und dann nicht über Vorabend-Soap-Niveau hinauskommt, wie Georg Kasch in der Berliner Morgenpost kritisierte. In ihrer uncharmanten Art versucht Böwes Agentin ihm das klarzumachen. Kurz vor Schluss wechselt der Abend auch noch ins Genre der Lecture Performance: Ursina Lardi monologisiert nach einer gescheiterten Paartherapie-Sitzung Ausschnitte aus dem Buch „Die psychotische Gesellschaft“ von Ariadne von Schirach. Im Stil einer Lehrerin in der letzten Schulstunde versucht sie, das Publikum bei der Stange zu halten: nur noch kurz aufpassen, dann ist gleich Schluss… Aber der Abend mäandert so sehr, dass auch der Charme eines Bühnenstars vom Lardi-Kaliber wenig ausrichten kann. Beeindruckender ist das von Andy Besuch konzipierte Muskelmann-Kostüm, in dem sie zuvor am Klavier lehnte.
Nach „The Silence„, der hochkonzentrierten, autofiktionalen Zeitreise in die bundesrepublikanische Geschichte, die sich ihre Einladung zum Theatertreffen verdient hat, produzierte Richter mit hoher Schlagzahl wenige Wochen später eine Einsamkeits-Tragikomödie, die kaum weniger prominent besetzt ist, der es aber an Stringenz fehlt. Eine Atempause gönnt sich der Regisseur jedoch nicht: im April steht eine Jelinek-Uraufführung für die Münchner Kammerspiele an.
Bilder: Gianmarco Brasadola