Hors du Temps

Cannes-Stammgast Olivier Assayas ist erstmals im Berlinale Wettbewerb zu Gast und einen ebenso klugen wie witzigen Essay-Film über den ersten Corona-Lockdown im April 2020 mitgebracht.

„Hors du Temps“ (auf Deutsch: „Aus der Zeit“) spielt in einem etwas baufälligen Landhaus mit großem Garten irgendwo in der franzöischen Provinz. Der Regisseur Etienne (Vincent Macaigne, als Alter ego des Regisseurs und Drehbuchautors Assayas zu erkennen) und sein Bruder Paul, der Musikjournalist (Micha Lescot), haben sich mit ihren Partnerinnen Morgane und Carole in das Haus ihrer Kindheit zurückgezogen.

Assayas spießt in seinem Film auf, wie unterschiedlich die Menschen auf die plötzliche Unterbrechung ihres gewohnten Alltags, als ein Virus für wenige Monate die Welt stillstehen ließ. Etienne saugt aus dem Netz jede verfügbare Information auf, hat Sorge vor einer Oberflächeninfektion und lässt deshalb auch Amazon-Pakete erstmal vor der Tür stehen. Paul sitzt genervt da, hält die Reaktion für panisch und überzogen und möchte so ungestört wie möglich weiterleben.

„Hors du Temps“ lebt von vielen kleinen Beobachtungen über eine Zeit, die erst wenige Jahre zurückliegt, im öffentlichen Diskurs außer von der AfD aber am liebsten unter den Teppich gekehrt und verdrängt wird. Die Rahmenhandlung besteht – typisch für Assayas – aus langen Dialogen über Kunst, Musik, Literatur und Film voller Name-Dropping. Es bleibt aber auch Raum für nachdenkliche, stillere Momente. Das Assayas-Alter ego reflektiert bei einem Waldspaziergang über seine privilegierte Situation: er kann die Natur genießen, während sich viele prekär lebende Familien in beengten Wohnungen eingesperrt fühlten. Deshalb erlebt er die Monate trotz aller Angst auch als Auszeit und blickt wehmütig darauf, dass sie bald enden wird. Viel schneller als gedacht wurden alle Hygiene-Regeln wieder über Bord geworfen. Die Berlinale 2024 entwickelte sich für viele zum sportiven Wettstreit, wer aus tieferer Lunge abrotzen und seine Viren in den Saal schleudern kann. Ekelerrregend!

Für seinen kleinen, feinen Film hätte Assayas durchaus einen Bären verdient gehabt, ging aber bei der Preisverleihungs-Gala leer aus. Bei kaum einem Film dieses düsteren Wettbewerbs-Jahrgangs wurde so viel gelacht.

Bild: Carole Bethuel

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