Fremd

Michel Friedman hat sich in den vergangenen Jahrzehnten einen Namen gemacht: als Vorstandsmitglied im Zentral der Juden, als CDU-Politiker, als Publizist, als Talkshow-Gastgeber, als Selbstdarsteller und fester Teil des Establishments. An Oliver Reeses Berliner Ensemble lädt er regelmäßig prominente Gäste zu politischen Salons. Naheliegend war deshalb, dass Silbel Kekili seine autobiographischen Erinnerungen an diesem Theater in einer szenischen Lesung im Herbst 2023 zuerst vorstellte.

Kurz danach folgten ein Ensemble-Stück von Stephan Kimmig in Hannover und Ende Februar 2024 auch ein konzentrierter, kleiner Abend, den Regisseurin Lena Brasch mit der Gorki-Schauspielerin Vidina Popov und der Violinistin Rahel Rilling für die neue Reihe „Fremde Poesie?“ der dortigen Studio-Bühne eingerichtet hat. Kaum ein Haus hat sich so sehr den Themen Fremdheit, Desintegration, Verlorenheit und Traumata verschrieben wie das Gorki von Shermin Langhoff. Deshalb passt diese Sachbuch-Adaption tatsächlich hervorragend zum Markenkern und dem Repertoire.

Das Solo mit musikalischer Begleitung ist ein minimalistisches Stück auf fast leerer Bühne bei gedimmtem Licht und in Moll. Mit einem Gesangscoach hat Popov an den Klagegesängen gearbeitet, die diese Aufführung leitmotivisch begleiten. Der Text folgt den Erinnerungen von Friedman, der als Kind von Holocaustüberlebenden erst in Paris, dann in der Bundesrepublik aufwuchs. In den bittersten Momenten reflektiert „Fremd“ über die „Nie wieder“-Sonntagsreden, wirft der Mehrheitsgesellschaft Heuchelei vor. Mit Trauer und Wut klingt diese kurze Performance aus.

Bild: © Ute Langkafel MAIFOTO

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