Das Schloss

Tief haben sich Karin Henkel und ihre bewährte Dramaturgin Rita Thiele in die Sekundärliteratur zum Roman-Fragment „Das Schloss“ von Franz Kafka eingelesen. Aus verschiedenen Blickwinkeln und Fachdisziplinen wird der Text beleuchtet, das Programmheft ist so umfangreich, wie es sich nur noch wenige große Häuser leisten.

Man durfte gespannt sein, für welche Lesart sich das Duo in seiner Theaterfassung entscheidet. Wie in vielen anderen aktuellen Kafka-Inszenierungen wird der „K.“ im fliegenden Wechsel von verschiedenen Ensemble-Mitgliedern gespielt, Carolin Conrad drückt der Hauptfigur mit ihrem ungläubigen Staunen den stärksten Stempel auf. Dieser Residenztheater-„K.“ krabbelt wie ein Versuchsobjekt immer wieder an einer Glaswand hoch, findet aber weder Halt noch Ausweg aus dem Labyrinth der Bürokratie der Schlossherren. Dazu passt, dass in einigen Szenen plötzlich der große Käfer, in den sich Samsa in Kafkas „Verwandlung“ verwandelt, aus dem Fremdtext herüberkrabbelt und kurz über die Szene kreucht.

Zur tragikomischen Figur wird „K.“ in dieser Lesart, die gezielt jene Passagen aus dem Roman-Fragment auswählte, in denen der Landvermesser Verhören unterzogen wird, widersprüchliche Auskünfte bekommt und am Ende immer noch verwirrter zurückbleibt. Ein Trumpf der Inszenierung ist Thilo Reuthers ausgefeiltes Bühnenbild, ständig öffnen sich neue Türen, verschieben sich Wände, verschwinden Figuren oder tauchen wie aus dem Nichts wieder auf. Das hat großen Schauwert, doch dieses zentrale Prinzip der Inszenierung wiederholt sich in den knapp zwei Stunden etwas zu oft.

Wenn die Schauspielerinnen und Schauspieler dann auch noch taumeln und torkeln, ist der Schmunzel-Edel-Boulevard nicht mehr weit. Für eine düstere Grundstimmung sorgt zuverlässig die Live-Musikerin Pollyester, ansonsten ist diese „Schloss“-Adaption ein heiterer Abend, der weniger auf bedrohlich-kafkaeske Stimmung abzielt, sondern die Lächerlichkeit der Bemühungen der Hauptfigur betont, die in einem absurden Dschungel aus unbekannten Vorschriften gefangen ist.

Merkwürdig ist, dass der Abend der routinierten Theaterfrauen Henkel/Thiele, die schon an vielen großen Häusern gearbeitet haben, gegen Ende ausfranst. Heiner Müllers Aufzug-Traum aus „Der Auftrag“ wird als weitere Fremdtext-Klassiker in den Kafka-Abend hineinmontiert, ohne erkennbaren dramaturgischen Mehrwert.

Am 2. Februar 2024 hatte „Das Schloss“ zum Auftakt des Kafka-Jubiläums-Jahres am Residenztheater München Premiere.

Bilder: Lalo Jodlbauer

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