Jan Friedrichs Inszenierung von Kim de L´Horizons „Blutbuch“ spielt mit den Klischees über und Erwartungen an Romanadaptionen: mit hängenden Schultern steht die Großmeer (Berner Dialekt für Großmutter, Iris Albrecht) vorne an der Rampe, dahinter bauen sich mehrere Spieler*innen im queeren Look der nonbinären Autor*in auf und sprechen die ersten Seiten des autofiktionalen Roman-Monologs der Hauptfigur frontal ins Publikum. Soll das wirklich so weitergehen?
Keine Sorge, das tut es natürlich nicht. Genauso wie de L´Horizon in der Vorlage mit den Sprachebenen und Motiven spielt, wird auch aus diesem raupenhaften Beginn ein schillernder Theater-Schmetterling, der mit den Stilmitteln spielt und stets nah an der Vorlage bleibt.
Regisseur Friedrich und sein Team haben die grobe Gliederung in fünf Teile beibehalten und als Zwischenüberschrift markiert. In den zwei Stunden folgen sie den Erzählsträngen, Sackgassen, Brüchen und ironischen Einschüben von Kim de L´Horizon Gedankenstrom, der 2022 mit dem Schweizer und dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Märchenhafte Kindheitserinnerungen in Live-Videos folgen auf explizite Schilderungen anonymer Sexdates (für ein Publikum ab 16) in den Vororten, bei denen sich die Hauptfigur slutty benutzen lässt, bevor es mit den Archivrecherchen zu Botanik und Nationalismus weitergeht. Ein optischer Höhepunkt ist der Auftritt von Oktay Önder als rotschwarze Blutbuche in einem ausladenden Kostüm voller wuchernder Wurzeln, sprachlich bringt die Schweizerin Julia Buchmann, die seit 2022 im Magdeburger Ensemble engagiert ist, in der Rolle der Meer ihren heimatlichen Dialekt sehr authentisch in die Rolle ein.
Mit „Blutbuch“ hat das Theater Magdeburg einen Repertoire-Hit, für den sich auch die Anreise mit dem RE 1 aus Berlin lohnt: die Landeshauptstadt wirkte an diesem sommerlichen Walpurgisnacht-Abend ziemlich leer, umso lebendiger war dann der lange Applaus im vollen Theatersaal.
Gerade erst wurde „Blutbuch“ auch beim Festival Radikal Jung mit dem Publikumspreis für das beste Gastspiel am Münchner Volkstheater ausgezeichnet.
Bilder: Kerstin Schomburg