Kirill Serebrennikow inszeniert erstmals einen Roman von Vladimir Sorokin: die beiden zählen zu den prägendsten russischen Künstlern der Gegenwart und leben beide im Exil in Berlin.
Für die Koproduktion der Salzburger Festspiele, des Düsseldorfer Schauspielhauses und seiner Compagnie “Kirill & Friends“ nahm sich Serebrennikow den 200 Seiten schmalen Roman „Der Schneesturm“ vor, der bereits 2010 erschien.
Die Handlung lässt sich recht knapp zusammenfassen: zwei sehr gegensätzliche Typen, der energische Arzt Garin und sein phlegmatischer Kutscher Kuzma geraten bei ihrer Mission, Impfvakzine gegen eine aus Bolivien eingeschleppte Pest in ein Dorf irgendwo in den russischen Weiten zu bringen, in einen tobenden Schneesturm. Sie treffen allerlei skurrile Gestalten, Zwerge, Riesen, einen Drogenkult sogenannter „Dopaminierer“ und geraten bei jeder Gelegenheit aneinander.
Serebrennikow setzt ganz auf die Buddy-Komik dieses Gegensatzpaares, das er mit August Diehl und Filip Avdeev besetzt hat. Beide sind aktuelle Lieblingsschauspieler des russischen Regisseurs: Diehl spielt auch die Hauptrolle in seinem Film „Das Verschwinden des Josef Mengele“, der in Cannes Premiere feierte und am 23. Oktober in den deutschen Kinos starten soll. Avdeev stammt aus dem Ensemble des mittlerweile geschlossenen Moskauer Gogol Centers und prägte auch die ersten Theaterarbeiten von Serebrennikow an großen deutschen Bühnen am Deutschen Theater Berlin und Thalia Theater Hamburg.
Jede Regung und Geste dieses sich komödiantisch beharkenden Duos wird mit Live-Kamera überlebensgroß auf die Leinwand projiziert. Deutlich kürzer kommen die Gestalten aus dem Kosmos des magischen Realismus, die den Weg der beiden kreuzen. Stattdessen übernimmt der Schneesturm die dritte Hauptrolle: ein genderfluides Ensemble aus China, Deutschland, Russland und der Ukraine tanzt, singt und steppt diesen Sturm, in dem Garin und Kuzma mehr und mehr die Orientierung verlieren.
Die Theaterfassung, die Serebrennikow selbst geschrieben hat, bleibt eng an der Roman-Vorlage. Da Sorokins Erzählweise in der ersten Hälfte vor allem mit der Exposition der Figuren beschäftigt ist, bleibt auch der erste Teil des Theaterabends recht statisch. Zähes Schneerieseln statt Sturm.
In der zweiten Hälfte dringt der Roman immer tiefer in seine surreale Welt ein und auch der Theaterabend spielt sich frei. Dabei tappt Serebrennikow aber wie zuletzt in der Ruhrtriennale-„Legende“ in die Falle, dass der Abend beinahe in einem Übermaß aus Theatermitteln ertrinkt. Mit viel Tanz, Musik und Folklore wird der „Schneesturm“ zu einem Crossover-Gesamtkunstwerk mit vielen Schauwerten, die auch nach der Düsseldorfer Premiere an diesem Wochenende wie schon im August auf der Perner-Insel in Hallein bejubelt wurden.
Sorokins „Schneesturm“, der mittlerweile um zwei Bände ergänzt wurde, würde sich noch besser für ein Fantasy-Buddy-Road-Movie voller Special Effects eignen. Der Theaterfassung schwankt etwas zu sehr zwischen Komik, Folklore und Bildergewitter und hat Mühe, nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Dementsprechend polarisiert war auch das Presse-Echo, das von Jubel über die groteske Fantasy-Komik und das Hauptdarsteller-Duos bis zum Vorwurf, dass der Abend zu sehr in Folklore-Kitsch versinke.
Nach der Salzburger Festspiel-Premiere vom 16. August 2025 läuft „Der Schneesturm“ seit dem 12. September 2025 im Repertoire des Düsseldorfer Schauspielhauses.
Bild: Sandra Then