Auf mehr als vier Stunden lässt Kirill Serebrennikow seine Collage „Legende“ in der Kraftzentrale der Duisburger Peripherie ausufern. In einem Gesamtkunstwerk spielen, singen und tanzen seine Stammkräfte aus Moskauer Gogol Center-Zeiten, die sich im Exil unter dem Label „Kirill & Friends“ gemeinsam mit Spielern des koproduzierenden Hamburger Thalia Theaters und dem Georgian State Chamber Choir.
Zehn Tableaus hat Serebrennikow entworfen. Wie üblich führt er nicht nur Regie, sondern hat auch Text-Fassung und Bühne konzipiert. Ausgangspunkt ist das Schaffen eines hierzulande kaum bekannten Filmemachers, der kurz vor dem Untergang der Sowjetunion starb. Sergej Paradjanovs Leben hat viele Parallelen zu Serebrennikows Vita: beide eckten im autoritären System an, mit dem staatlich verordneten sozialistischen Realismus wollte sich Paradjanov mit seiner Vorliebe für Mythen und Surreales partout nicht abfinden, beide wurden inhaftiert, beiden wurde ihre Homosexualität vorgeworfen. Den Namen Paradjonov kennt in Deutschland kaum jemand, Serebrennikows Bilderreigen wird jedoch nicht müde zu betonen, dass Fellini oder Godard ihren Kollegen sehr schätzten und auch dieser Abend will vor allem eins sein: eine Hommage an ein als Genie verklärtes Vorbild.
Vor allem in der ersten Hälfte mäandern die Tableaus allzu zäh und statisch. Das ziegelsteindicke Programmbuch erklärt auf mehr als 200 Seiten die Assoziationen zum Leben und Werk von Paradjanov, auf der Bühne will sich jedoch kein Sog einstellen. Das Ensemble formiert sich immer wieder neu zu surrealen Szenen, in denen berühmte Maler zum Leben erwachen oder eine Tote wiederaufersteht.
Bild: © Frol Podlesnyi
Drei der zehn „Legenden“ stechen heraus: unmittelbar vor der Pause eine sehr freie „Lear“-Adaption mit Nikita Kukushkin als Narr über eine Welt, die in Dunkelheit und Wahn versinkt. Hieran schließt sich ein tolles Gitarren-Solo von Campbell Caspary an, der „Hallelujah“ von Leonard Cohen singt und von der Meute bis auf das Skelett demontiert wird. Und natürlich ist es wieder mal Karin Neuhäuser, die einer Thalia-Produktion den Stempel aufdrückt: sie brilliert als launische „Traviata“-Diva, die allen anderen zeigt, wie man seinen Bühnentod angemessen zelebriert.
Bild: © Katrin Ribbe, Ruhrtriennale 2024
Doch jenseits dieser Kabinettstückchen bleibt viel Leerlauf. Thalia-Intendant Joachim Lux, der wie schon bei früheren Serebrennikow-Arbeiten an seinem Haus als Co-Dramaturg mitwirkte, wäre gut beraten, wenn er gemeinsam mit dem Regisseur die ursprünglich auf drei Stunden angelegte, auf vier Stunden ausfransende Inszenierung dem Hamburger Publikum ab November in einem „Director´s Cut“ vorstellen würde, wie Alexander Menden in der SZ vorschlug.
Vorschaubild: © Katrin Ribbe, Ruhrtriennale 2024