Der schwarze Mönch

Tschechows große Dramen, die Peter Stein an der Schaubühne oder Jürgen Gosch am Deutschen Theater Berlin in stundenlangen Stoßseufzern zelebrierten, gehören fest zum Kanon der deutschen Theater. Die Figuren leiden an ihrer Mittelmäßigkeit, träumen von Aktivität und Größe, stecken aber doch in der tristen Gegenwart und der typischen Tschechow-Melancholie fest.

Hierzulande kaum bekannt ist die Novelle „Der schwarze Mönch“, die Kirill Serebrennikow dem Thalia-Intendanten Joachim Lux für eine Inszenierung vorschlug. Vom Hausarrest über Corona-Lockdowns bis zu kurzfristig abgesagten Vorstellungen wegen positiver PCR-Tests musste diese Arbeit über die Jahre viele Hürden nehmen. Nun kam auch noch der Angriff auf die Ukraine dazu, der dazu führte, dass die Flugverbindungen zwischen Moskau und dem Westen gekappt wurden. Dennoch gelang es, die drei russischen Spieler*innen Odin Biron, Philipp Avdeev und Viktoria Miroshnichenko nach einer abenteuerlichen Odyssee rechtzeitig zu den drei Repertoire-Vorstellungen am Wochenende nach Hamburg zu holen.

Nach all der Aufregung beginnt der lange Nachmittag (2 Stunden 40 Minuten ohne Pause) dann zunächst gemächlich. Als Rondo hat Serebrennikow seine Inszenierung konzipiert: die Novelle wird recht statisch nacherzählt, aus drei verschiedenen Perspektiven nacheinander. Für Serebrennikows Verhältnisse ungewohnt altbacken wirkt diese Inszenierung, die sich vor drei Gewächshäusern im Garten des Alten (Bernd Grawert) zu sehr um sich selbst dreht und nicht recht vom Fleck kommt.

Einen ersten tollen Moment hat „Der schwarze Mönch“, wenn sich Mirco Kreibich in eine typische Mirco Kreibich-Szene hineinsteigert: er teilt sich die Rolle von Andrej Kowrin, einem sensiblen Künstler-Genie, das in den Wahnsinn driftet, mit den beiden russischen Kollegen Odin Biron und Philipp Avdeev. Mit einer quecksilbrigen Energieleistung fiebert Kreibich so nervös über die Bühne, wie man ihn seit seiner waghalsigen „Baal“-Aktion in den Kammerspielen des Deutschen Theaters kennt.

Serebrennikows Inszenierung kommt erst im vierten und letzten Akt zu sich. Erst dann setzt er seine Stärke ein: das Sprechtheater wird mit tänzerischen Elementen verknüpft. Die beiden bewährten Choreographen Evgeny Kulagin und Ivan Estegeneev übernehmen wie schon in früheren Arbeiten die Co-Regie. Im finalen Akt wirbeln die Mönche als „Dr. Jekyll & Mr. Hyde“-Alter ego des Künstler-Genies Kowrin über die Bühne und dem Delirium entgegen.

Diese eindrucksvollen Szenen sprengen die übliche Stadttheater-Ästhetik, aber sie allein machen den Abend noch nicht bemerkenswert. Deswegen ist es konsequent, dass die Theatertreffen-Jury „Der schwarze Mönch“ zwar diskutierte, aber letztlich doch nicht in die 10er-Auswahl einlud.

Das Bemerkenswerteste an der Inszenierung ist, dass sie trotz aller Widrigkeiten stattfinden konnte. Auch der Regisseur Kirill Serebrennikow, der nach langem Hausarrest erst im Januar 2022 erstmals wieder aus Russland ausreisen durfte, war überraschend bei der gestrigen Vorstellung wieder dabei.Arm in Arm mit dem Dramaturgen und Intendanten Lux schwenkte er Plakate für Frieden und Freiheit und setzte mit seinem Ensemble ein politisches Statement gegen Putins Autokratie.

Bilder: Krafft Angerer

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