The Cut ist einer der Filme, die schon Monate vor ihrem Kinostart heiß diskutiert werden. Der türkischstämmige Hamburger Regisseur Fatih Akin, der mit seinem fulminanten Gegen die Wand bei der Berlinale 2004 den Goldenen Bären gewann, fasst ein besonders heißes Eisen an: den Genozid des Osmanischen Reiches an der armenischen Minderheit während des 1. Weltkriegs. In der Türkei wurde dieses historische Ereignis jahrzehntelang tabuisiert. Journalisten wie der 2007 ermordete Hrant Dink oder Schriftsteller wie Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk wurden, als sie den Genozid thematisierten, auf der Grundlage von Artikel 301 des Strafgesetzbuches (Beleidigung der türkischen Nation) angeklagt. 2011 ließ der damalige türkische Premier Erdogan, der im August 2014 zum Präsidenten gewählt wurde, eine Skulptur, die an das historische Ereignis erinnerte, abreißen. 2006 kam es zu internationalen Spannungen, als sich die Türkei über ein von der französischen Nationalversammlung verabschiedetes Gesetz, das die Leugnung des Genozids an den Armeniern unter Strafe stellen sollte, empörte. Fatih Aktin wusste also, auf welches Reizthema er sich einlässt – und wurde prompt mit Morddrohungen türkischer Nationalisten konfrontiert.
The Cut gibt ein bemerkenswertes politisches Statement: in Deutschland sind die Ereignisse, die ein Jahrhundert zurückliegen, außerhalb von Fachkreisen zu wenig bekannt. In der Türkei, wo der Film bereits auf einem Festival des Goethe-Instituts in Istanbul vorgeführt wurde, fordert er die notwendige Auseinandersetzung mit der Geschichte heraus.
Das Problem an dem Film ist jedoch, dass er künstlerisch seinem politischen Anspruch nicht gewachsen ist. Dies lässt sich an einer der dramatischsten Szenen des Films verdeutlichen: Die armenischen Gefangenen werden gefesselt und in einem Marsch durch karge Landschaften geführt. Als der Tross zum Stehen kommt und der Befehlshaber zu einer Massenexekution ansetzt, raunt einer dem anderen zu: „Das sieht nicht gut aus.“ Man wundert sich, wer solche Drehbuchsätze, die selbst in einem Karl May-Schinken mit Lex Barker und Pierre Brice aus den 60er Jahren unangenehm auffallen würden, geschrieben und abgesegnet hat. Noch mehr wundert man sich, wenn man liest, dass Fatih Akin das Drehbuch gemeinsam mit Mardik Martin geschrieben hat, der immerhin für Scorsese-Klassiker wie Mean Streets und Raging Bull verantwortlich ist.
Die bis zur Peinlichkeit holzschnittartigen Dialoge wechseln sich mit (melo-)dramatischen Bildern ab, die ganz auf einen Überwältigungseffekt abzielen: Von Hunger und Durst geplagte Menschen auf der Wanderung durch Wüsten und Steppen, brutale Vergewaltigungen, mit dem Messer abgetrennte Köpfe und durchgeschnittene Kehlen. Auf eine dieser Szenen ist auch der Filmtitel The Cut zurückzuführen: Weil einer aus der türkischen Kommandoeinheit den Befehl verweigert, überlebt die Hauptfigur Nazaret (Tahar Rahim): er hat eine tiefe Schnittwunde und kann nicht mehr sprechen – auch dies eine ziemlich platte Metapher für das jahrzehntelang verschwiegene Massaker.
Leider hat der Film auch ziemliche Längen, vor allem in der zweiten Hälfte, als sich die Hauptfigur quer über den halben Erdball auf die Suche nach seinen beiden Zwillingstöchtern macht, die er in den Kriegswirren verloren hat, und durch Aleppo, Havanna und Minneapolis irrt.
The Cut von Fatih Akin. 138 Minuten. Kinostart: 16. Oktober 2014
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