Kuffar. Die Gottesleugner

Nuran David Calis hat sich für „Kuffar. Die Gottesleugner“, das im Auftrag der Frankfurter Positionen 2017 entstanden ist und am 3. Advent in den Kammerspielen des Deutschen Theaters uraufgeführt wurde, einiges vorgenommen.

Er möchte von der trostlosen Lage in der Türkei erzählen: ein junges Paar (Ismail Deniz als Ismet und Vidina Popov als Ayse) träumt von der kommunistischen Revolution in Istanbul  und flieht 1980 nach Deutschland, als Ayse schwanger wird und in der Türkei ein weiterer Militärputsch für Friedhofsruhe sorgt.

Alt und grau geworden blicken Ismet und Ayse (gespielt von Harald Baumgartner und Almut Zilcher) auf ihre geplatzten Illusionen: sie machen sich Vorwürfe wie ein sprichwörtliches „altes Ehepaar“ und haben sich als Übersetzer und Tanzlehrerin halbwegs etablieren können. Sie fühlen sich aber weder in Deutschland heimisch –  noch steht ihnen eine Rückkehr in die Türkei offen, wo Erdogan die freie Presse stranguliert und die Reste der Demokratie im Würgegriff hält.

Als zweiter Handlungsstrang kommt ihr Sohn Hakan ins Spiel: der junge Arzt wurde von seinen atheistischen, linken Eltern ganz säkular erzogen und auch nicht beschnitten. Nach einer gescheiterten Ehe konvertiert er zum Islam und radikalisiert sich zusehends. In einem Videoblog agitiert er als Abu Ibrahim seine Anhänger. Als er wieder zuhause bei den Eltern einzieht, die rat- und fassungslos sind, wie sich ihr Kind zu einem so radikalen Fanatiker entwickeln konnte, macht er ihnen Vorwürfe, dass sie bei seiner Erziehung versagt haben und nicht gottgefällig nach den Geboten des Islams leben.

Kuffar. Die Gottesleugner

Auf der kargen Drehbühne springt der knapp zweistündige Abend zwischen seinen beiden Handlungssträngen sowie dem Jahr 1980 und der Gegenwart hin und her. Er fügt sich zu einem stimmigen Ganzen, die einzelnen Teile gelingen allerdings unterschiedlich gut.

Der Abend zeichnet ein überzeugendes Porträt der hoffnungslosen Lage in der Türkei: Das junge Paar erzählt von Folter und übt sich in konspirativen Techniken, streitet über Auswege und geht 1980 ins Exil. Ismail Deniz (der schon als „Siegfried“ in der Nibelungen-Komödie „Gold“ von Nuran David Calis besetzt war) und Vidina Popov spielen das mit der Wut und Verzweiflung junger linksradikaler Aktivisten. Die beiden DT-Ensemble-Routiniers Almut Zilcher und Harald Baumgartner lassen uns die Wehmut und Ratlosigkeit der Eltern spüren, die um ihr Land und ihren Sohn trauern, die auf die schiefe Bahn geraten sind. Gemeinsam starren sie auf die CNN Türk-Fernsehbilder vom Putschversuch im Juli 2016. Diese Passagen zur aktuellen Lage in der Türkei sind schlüssiger und stärker als Nurkan Erpulats gescheiterte Familienaufstellung „Love it or leave it“ vor wenigen Wochen am benachbarten Gorki.

Schwieriger ist der zweite Handlungsstrang: Christoph Franken steht als eifernder Hakan recht verloren im Raum. Als er in Tränen ausbricht und zu düsteren Monologen ansetzt, wirkt dies zu pathetisch und etwas aufgesetzt. Der Abend versucht gar nicht erst, für seine Radikalisierung eine schlüssige Erklärung anzubieten und beschränkt sich auf die Andeutung, dass er sich von den Eltern vernachlässigt und als Migrant der zweiten Generation in Deutschland nicht angenommen fühlt.

Warum so viele Jugendliche den Salafisten und anderen Rattenfängern nachlaufen, bleibt tatsächlich ein Rätsel, an dem sich schon viele Sozialwissenschaftler, Publizisten und Präventionsforscher die Zähne ausgebissen haben. Auch Milo Rau konnte bei seiner belgischen Expedition „Civil Wars“ auch keine überzeugenden Antworten finden und blätterte stattdessen in Familienalben.

Trotz dieser Mängel gelingt Nuran David Calis nach seinen beiden Dokumentartheater-Abenden „Die Lücke“ (über den NSU-Mord in der Kölner Keupstraße) und „Glaubenskämpfer“ (über einen Dialog der Weltreligionen), die jeweils als Kölner Gastspiele zu den Autorentheatertagen 2014 am Deutschen Theater eingeladen waren, auch bei seiner ersten Berliner Arbeit eine interessante Auseinandersetzung mit politischen Themen.

„Kuffar. Die Gottesleugner“ wurde am 12. Dezember 2016 in den Kammerspielen des Deutschen Theaters uraufgeführt. Weitere Informationen und Termine

Bilder: Arno Declair

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert