Vier Tage im Juli – Blackbox G20

„Ich wäre sowieso hingefahren, jetzt bekam ich gleich für meine erste Arbeit am Deutschen Theater Berlin die Fahrtkosten nach Hamburg und Spesen bezahlt. Geil!“, freut sich Caner Sunar. Gernot Grünewald, auf dokumentarische Stückentwicklungen spezialisierter Regisseur, und das DT schickten drei SchauspielerInnen im Juli 2017 nach Hamburg, um die Proteste gegen den G20-Gipfel hautnah mitzuerleben und aus diesen Erfahrungen einen Theaterabend zu erarbeiten: neben Sunar waren Elias Arens, langjähriges DT-Ensemblemitglied, und Katharina Schenk, die regelmäßig mit Grünewald und ansonsten vor allem in der freien Szene arbeitet, vor Ort.

Zu flimmernden Videobildern, schöner Musik und „Anticapitalista“-Sprechchören spielen sie einige Impressionen der so unterschiedlichen Hamburger Protete nach. Sie erzählen beispielsweise vom kreativen, stummen Auftritt der „1.000 Gestalten“ in Lehm, von einer Sitzblockade oder dem an einen Performer erinnernden anarchistischen Straßenkämpfer, der sich mit einer seiner roten Fahne auf einem erhöhten Punkt in Pose wirft, vom Wassserwerfer attackiert wird und doch jedes Mal wieder aufsteht und hinaufsteigt.

Die Szenen sind wie kleine Mosaiksteinchen aneinandergereiht, so bunt, wie die unterschiedlichen Formen des Protests. Die Stärke dieses Abends sind seine gelungenen Choreographien, die drei SpielerInnen überzeugen mit ihrer tänzerischen Revue verschiedener Protestaktionen. Das angedeutete Steinewerfen oder der Barrikadenbau des vermummten schwarzen Blocks werden zu eindrucksvollen Bildern, auf der Tonspur läuft ein Interviewschnipsel mit, in dem ein Anarchist darüber nachdenkt, wie sehr sich der Straßenprotest und Theateraktionen ähneln. Amüsant ist auch, wie Katharina Schenk die Sprechblasen des Hamburger Polizeisprechers, der ihr einige Monate nach dem Gipfel ein Interview gab, im Loop wiederholt.

Die Schwäche des Abends ist, dass das G20-Wochenende eine „Blackbox“ bleibt. Dem Doku-Theater-Stück „Vier Tage im Juli – Blackbox G20“ gelingt es nicht, so tief zu bohren wie die Vorgänger-Arbeit „Lesbos Blackbox Europa“ von Gernot Grünewald, die in der vorigen Spielzeit in der Box des Deutschen Theaters zu sehen war. Der Abend ist kurzweilig und schön anzusehen, bleibt aber an der Oberfläche. Das Publikum kam mit den Fernsehbildern im Kopf ins Theater und bekommt sie dort noch einmal auf spielerische Art vorgeführt und kommentiert.

Die 80 Minuten enden damit, dass die SpielerInnen offen über die Ratlosigkeit des Teams sprechen, wie politischer Protest für eine gerechtere Welt aussehen und was jeder einzelne tun kann. Während der Stückentwicklung diskutierten sie über das bedingungslose Grundeinkommen und ein Losverfahren, wie es der belgische Historiker David Van Reybrouck in seinem Buch „Gegen Wahlen“ vorschlägt und wie es in Irland bereits erprobt wurde: nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Bürger sollen über politische Probleme diskutieren und die beste Lösung fürs Gemeinwohl finden. Das Stück endet mit vielen offenen Fragen, die im Publikumsgespräch nach jeder Vorstellung vertieft werden können.

Bilder: Arno Declair

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