Das Leben des Vernon Subutex

Mit großem Ensemble stemmen die Münchner Kammerspiele den Kraftakt, die mittlerweile auf 1.200 Seiten angewachsene „Vernon Subutex“-Roman-Trilogie der französischen Autorin und Regisseurin Virginie Despentes in deutscher Erstaufführung auf die Bühne zu bringen.

Knapp anderthalb Stunden dauert es, bis Stefan Pucher das trotz einiger Streichungen immer noch imposante Figuren-Tableau eingeführt hat. Nacheinander stellen die Spieler*innen in einem kurzen Monolog ihre Charaktere vor, während auf der Video-Leinwand hinter ihnen ihr überdimensionales Porträt prangt. Ein buntes Panoptikum aus Losern, Aussteigern und Exzentrikern hat sich hier auf der Bühne versammelt. Als roter Faden dient die Odyssee des Vernon Subutex (gespielt von Jelena Kuljić), die nach der Pleite ihres Plattenladens auf der Straße landete und Freunde und Bekannte um einen Unterschlupf bittet.

Geradezu zwangsläufig zieht sich die Exposition der Figuren ziemlich in die Länge, dafür entschädigen aber einige starke Soli des hochkarätigen Ensembles: Maja Beckmann ist die mit Fatsuit-Speckröllchen ausstaffierte Emilie, die in einer Publikumsbeschimpfung einen bedauernswerten jungen Maximilianstraßen-Schnösel aufstehen lässt und ihm die Leviten liest. Annette Paulmann legt als Obdachlose Olga einige Wutausbrüche aufs Parkett und bekommt für ihre a-capella-Version des „Skyfall“-Titelsongs von Adele den stärksten Szenenapplaus des mehr als dreistündigen Abends. Wiebke Puls fährt als lesbische „Hyäne“, die sich nach einer Karriere als Dealerin nun auf cyberkriminelle Auftragsarbeiten verlegt hat, ihre Krallen aus und macht sich über traditionelle Mutter-Rollenbilder lustig. Thomas Hauser schüttelt als Ex-Porno-Queen Pamela Kant kokett seine Mähne und ist eine gelungen-laszive Cross-Gender-Besetzung. Nils Kahnwald, der in „Dionysos Stadt“ seine großen Entertainer-Qualitäten bewies, ist als koksender neureicher Kiko diesmal unterfordert, und wechselt sich mit Samouil Stoyanov darin ab, minutenlang unmotiviert-qualmend am Rand der Gruppe zu sitzen.

In der zweiten Hälfte versammeln sich alle Outlaws in einer Art Amphitheater, das Barbara Ehne um das DJ-Pult von Subutex herumgebaut hat. Angeführt von Kuljić als androgyner Guru und Abdul Kader Traoré, der nur in wenigen Szenen als Alexander Bleach in Videos von Meika Dresenkamp auftaucht, performen alle gemeinsam zwei Cover-Versionen des „I want it darker“-Vermächtnisses von Leonard Cohen. Das sind die stärksten Momente einer zu lang ausufernden, in zu viele Einzelteile zerfallenden Roman-Adaption von Ex-DJ Stefan Pucher, dem es weniger gut als in seinen stärksten Arbeiten nach der Jahrtausendwende gelingt, daraus einen überzeugenden Abend aus einem Guss zu entwickeln.

Bilder: Arno Declair

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