„Für dieses Leben, das ich führe, zahle ich einen Preis… Es ist wie eine Höllenfahrt!“, sagte Pier Paolo Pasolini in seinem letzten Interview. Diese Worte waren geradezu prophetisch. In der Nacht vom 1. auf den 2. November 1975 wurde er am Strand von Ostia brutal ermordet.
Mit dem jungen Stricher Pino Pelosi soll es zum Streit gekommen sein. Max Gindorff stammelt dieses Geständnis, nachdem er sich aus der Umklammerung von Tim Werths gelöst hat, der ihn gegen den Alfa Romeo gedrückt und ihm die Hose runterzogen hatte. An dieser offiziellen Version eines unpolitischen Einzeltäters, mit der die Ermittlungen schnell eingestellt wurden, gibt es jedoch berechtigte Zweifel.
In der ersten halben Stunde wird der Mord in immer neuen Varianten durchgespielt. Nicht wie so oft in letzter Zeit als das Publikum quälender Loop im selbstverliebten L´art pour l´art-Stil, sondern mit präzise aufeinander abgestimmten Gewalt-Choreographien. Nach jedem Mord an Pasolini (Tim Werths, der als geschundene Kreatur am Boden liegt) wird der Rückwärtsgang eingelegt. Die Autotür des Alfa Romeo öffnet sich, weitere sonnenbebrillte Männer im Einheitslook springen aus dem Wagen und malträtieren ihr Opfer mit angedeuteten Tritten, Schlägen und Vergewaltigungen. Waren die Mafia und die italienischen Neofaschisten in den Mord involviert? Ging es um Filmrollen, die Pasolini zurückkaufen wollte? Feinde mit einem Motiv, ihn aus dem Weg zu räumen, hatte er jedenfalls genug.
Teile des Premierenpublikum waren schockiert. „Aufhören, aufhören!“-Rufe notierten einige Berichterstatter aus dem ehrwürdigen Bayerischen Staatsschauspiel. Auch einige Kritiker kanzelten Antonio Latellas Abend vorschnell als gedankenlos ab. Gewalt wird hier jedoch nicht als „Torture porn“ ausgestellt, sondern klug und sehr sublimiert in eine Auseinandersetzung mit zwei großen italienischen Dichtern und Intellektuellen eingebaut.
Zeit seines Lebens war Pasolini von Dante Alighieri beeindruckt und versuchte sich an einer „Divina Mimesis“-Überschreibung des Klassikers. Nach diesem Prinzip arbeiten auch Regisseur Latella und Autor Federico Bellini in ihrer assoziativen Annäherung an Pasolini und Dante, zwei Außenseiter, die ihre Gesellschaft provozierten. „Eine göttliche Komödie“ überzeugt vor allem mit starken Choreographien, die sich wohltuend vom Stadttheater-Einerlei abheben. Nils Dechamps, Gunter Eckes, Max Gindorff und Nils Strunk toben sich aus. Ihre Performance vibriert vor Testosteron und Aggressivität, ohne plump oder anbiedernd zu wirken.
Aus dem Ensemble ragen zwei Spieler heraus: Franz Pätzold, der sich mit seinem unverkennbaren Sound diesmal meist am Rand hält und den weisen Raben aus Pasolini Film „Große Vögel, kleine Vögel/Uccellacci e uccellini“ mimt. Und Tim Werths, der die letzte halbe Stunde fast im Alleingang bestreitet und bei seiner Energie-Leistung beeindruckende Rampensau-Qualitäten unter Beweis stellt, die er schon in seinem Auftritt als das Publikum aufmischender Affe in „Der Balkon“ im Marstall andeutete.
An körperlicher Präsenz stehen ihnen aber auch die restlichen Kollegen nichts nach. „Eine göttliche Komödie“ ist ein kraftstrotzender, kräftezehrender, kluger, allerdings entsetzlich verqualmter Abend, der oft näher beim Tanz und beim Film ist als bei 08/15-Inszenierungen. Gerade das macht seine Qualität aus.
Nach der gestrigen Vorstellungen gab es keine Buhs mehr, stattdessen langen, freundlichen Applaus und einige Bravo-Rufe.
Update: Die Inszenierung ist verdientermaßen zum Berliner Theatertreffen 2020 eingeladen.
Bilder: Matthias Horn