Mit einer Männerquote von 0 % bei der „Langen Nacht der Autorinnen“ gingen die Autorentheatertage am Deutschen Theater Berlin zu Ende.
Einen starken, vielschichtigen Text präsentierte Svealena Kutschke mit „Zu unseren Füssen, das Gold, aus dem Boden verschwunden“. Sie taucht damit in das Stimmengewirr eines Pankower Mietshauses ein. Die Bewohner*innen sind mit der Gentrifizierung, die allerdings nur am Rande gestreift wird, dem Rechtsruck in Europa und dem Flüchtling Nabil, der plötzlich in ihrer Nachbarschaft einzieht, konfrontiert.
Kutschke lässt ihre Figuren nacheinander in langen Monologen zu Wort kommen, die präzise beobachten und Stimmungen genau beschreiben. Ihrem Theaterdebüt-Text ist deutlich anzumerken, dass sie bereits mit mehreren Romanen Erfahrungen gesammelt hat.
Kernthese ihres Stücks ist, dass es in Deutschland wie im Dampfkocher immer brodelte, dass sich durch NSU, Pegida, AfD und Co. nur der verschlossene Deckel anhob und die Ressentiments gegen Minderheiten und Migrant*innen ganz unverhohlen ausgesprochen werden.
Die szenische Umsetzung gerät jedoch recht holprig: András Dömötör, der sich bereits in mehreren Inszenierungen am Gorki Theater und am DT mit dem Rechtsruck in seinen beiden Heimatländern Ungarn und Deutschland befasst hat, bittet die Zuschauer*innen gemeinsam mit den Spieler*innen zum Stuhlkreis in die Box. Meist sprechen die Akteur*innen, die mit ihrem Monolog dran sind, vom Platz aus, nur selten treten sie einzeln und am Ende sogar alle zusammen in die Mitte des Stuhlkreises. Der interessante Text wirkt, theatralisch bleibt dieser Abend minimalistische Schonkost, eine szenische Lesung im Therapiegruppen-Stuhlkreis mit einem Säufer (Jörg Pose), einem lesbischen Paar (Maike Knirsch und Ensemble-Neuzugang Lorena Handschin), einer depressiven Frau (Katrin Klein) und ihrem Ex-Mann (Helmut Mooshammer).
Wesentlich besser klappte die theatralische Umsetzung von „Ruhig Blut“ in den Kammerspielen. Clara Weyde, die auf Nachtkritik bereits mehrfach mit gut besprochenen Inszenierungen an kleineren Stadttheatern auffiel, lieferte mit dieser Produktion eine Talentprobe.
Für den rhythmischen, mit grotesk-surrealen Motiven spielenden Text von Eleonore Khuen-Belosi fand sie die passende Herangehensweise und hatte dabei zwei talentierte Partnerinnen: Bühnenbildnerin Thea Hoffmann-Axthelm knüpfte ein dichtes Netz aus Seilen, in dem das Ensemble zunächst selbstzufrieden wie Spinnen ruht. Die drei Bildungsbürgerinnen Teresa, Aurelia und Agata (gespielt von Henrietta Blumenau, Nico Link und Florian Köhler) werden jedoch dadurch aufgeschreckt, dass der Asphalt schmilzt. Die Risse finden sie so alamierend, dass sie sich aufgerufen fühlen, eine Bürgerwehr zu bilden und ihre liegestuhlartige Komfortzone zu verlassen.
Im Lauf des Abends greift jedoch auch die zweite talentierte Partnerin in das Spiel ein. Julia Gräfner, die bereits als durchgeknallte Regisseurin mit manischen Zügen im Grazer Gastspiel „Die Revolution frisst ihre Kinder!“ auffiel, lag zunächst reglos am Boden. Sie verkörpert den aufbegehrenden Asphalt, hangelt sich mit ihrer Körperfülle an den Seilen entlang und bringt das gespannte Netz zum Schwingen.
„Ruhig Blut“, das ins Repertoire des Schauspielhauses Graz übernommen wird, ist ein spielfreudiger, grotesker Kommentar zu den aktuellen tektonischen Verschiebungen in unserer politischen Landschaft: Die Sätze klingen mal fast wie bei Beckett, dann wieder wie Phrasen aus aktuellen Parlamentsdebatten oder Leitartikeln.
Der dritte Abend, den das Theater Neumarkt Zürich auf der großen Bühne des DT präsentierte, funktionierte nur in der Theorie. In „Entschuldigung“ lässt Lisa Danulat zwei Frauen-Biographien ineinander fließen: Ingrid möchte sich das Leben nehmen, Gertrud endlich raus aus dem Gefängnis.
Die Uraufführung von Peter Kastenmüller scheitert jedoch auf ganzer Linie: zwischen kahlen Bäumen und im düsteren Nebel mühen sich die Spieler*innen durch wirre Text-Brocken, die durch ständige Orts- und Zeitsprünge bewusst jede Orientierung nehmen. Ohne erkennbare Motivation brechen sie plötzlich in lautes Schreien auf und quälen das Publikum mit einer zähen Stunde.
Bilder 1 und 4: Lupi Spuma / Schauspielhaus Graz; Bilder 2 und 3: Arno Declair