Germania

„Mach´s leicht“ soll Heiner Müller kurz vor seinem Tod dem damaligen Popregisseur-Jungstar und Bochumer Intendanten Leander Haußmann zugerufen haben, als dieser 1996 die Uraufführung seines Stücks „Germania 3 Gespenster am toten Mann“ übernahm.

Dieses letzte Werk knüpfte an „Germania Tod in Berlin“ an, das Müller 1956 während des Chruschtschow-Tauwetters nach Stalins Tod begonnen hatte, aber erst in den 1970er Jahren fertigstellen konnte. In der DDR durfte dieser Text erst im Januar 1989 am Berliner Ensemble aufgeführt werden, die Uraufführung war 1978 an den Münchner Kammerspielen zu erleben.

Beide Texte bindet Claudia Bauer, Hausregisseurin am Schauspiel Leipzig und zuletzt 2x zum Theatertreffen eingeladen, zu einem Abend unter dem Titel „Germania“ zusammen. „Leicht“ wollte auch sie es machen und startet mit einer Slapstick-Szene über Friedrich den Großen. Ihr Abend ist aber nur leichtgewichtig. Sehr albern gerät diese erste Szene zwischen Ensemble-Neuzugang Sebastian Grünewald und Gaststar Peter Jordan. Der Comedy-Schlagabtausch wird wie in schlechten Filmen von den Krach-, Peng- und Wumms-Geräuschen des Orchesters live untermalt.

Nach diesem Intro entwickelt sich ein zäher Streifzug durch Motive der deutschen Geschichte: von den Nibelungen, die als schwanzfixierte Trottel veräppelt werden, über Stalin (Malick Bauer bei seinem zweiten Auftritt als Volksbühnen-Ensemble-Mitglied) und Hitler (Katja Gaudard, langjährige Stütze des Schauspiels Hannover bei ihre Volksbühnen-Debüt) in der Badewanne bis zu den streikenden Bauarbeitern am 17. Juni 1953 und Nach-Wende-Diskussionen über den umstrittenen Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“ werden hier viele Bausteine aus Müllers Werk brav abgearbeitet. Natürlich darf auch seine besonders umstrittene Szene nicht fehlen, bei der Hitler die Bundesrepublik als Contergan-geschädigten Wolf gebiert.

Mit einer kurzen Pause schleppt sich diese Geschichts-Revue mit mäßigem Unterhaltungswert und geringem Erkenntnisgewinn drei Stunden dahin. Claudia Bauer, die vor einem Jahr als Favoritin für die zukünftige Volksbühnen-Intendanz gehandelt wurde, enttäuscht bei dieser zu langatmigen Arbeit. Seltene Lichtblicke eines dramatugisch holprigen und inhaltlich beliebigen Comic-Abends sind die beiden Szenen, bei denen Puppenspiel-Student*innen der HfS Ernst Busch ihr Können zeigen dürfen. Die kurzen Passagen im Kessel von Stalingrad in der ersten Hälfte und das Gespräch von Walter Ulbricht und Ernst Thälmann über den Mauerbau in der zweiten Hälfte sind nicht nur Schlüsselstellen in Heiner Müllers Text, sondern auch die raren überzeugenden Momente eines zu langen Abends.

Besonders schade ist, dass eine Andeutung aus dem Programmheft nicht eingelöst wurde. Mich ließ aufhorchen, dass in der dort abgedruckten Chronologie der geschichtlichen Ereignisse seit Tacitus und Arminius auch die peinlichen Altherren-Witze von Ex-Volksbühnen-Chef Frank Castorf aus einem SZ-Interview über die Frauen-Fußball-WM auftauchen. Würde es Claudia Bauer tatsächlich wagen, die Sprüche des Hausgotts aufs Korn zu nehmen? Leider Fehlanzeige!

Sie beließ es es dabei, das gesamte Ensemble in Cheerleader-artige Kleidchen mit großen Trikot-Nummern zu stecken. Diese Idee hing aber wie so vieles andere an diesem Müller-Abend in der Luft. Von der archaischen Wucht der „Philoktet“-Inszenierung, die vor wenigen Tagen am DT Berlin Premiere hatte, blieb dieser „Germania“-Abend weit entfernt.

Bilder: Julian Röder

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