Glaube und Heimat

Dichter Bühnennebel wabert, Bert Wredes Musik donnert und grollt, der gewaltige Quader, den Nehle Balkhausen in die Mitte der Bühne gestellt hat, dreht sich unerbittlich. Diese Szene, die man wunderbar in einem Theaterwissenschafts-Lehrbuch als Musterbeispiel für Michael Thalheimers Regie-Handschrift nehmen könnte, wiederholt sich an diesem Abend leitmotivisch. Die Menschen wirken von dem Ungetüm im Zentrum wie erschlagen und schreien ihre Verzweiflung heraus.

Karl Schönherrs historisches Bergdorf-Melodram aus dem Jahr 1910 über eine Dorfbevölkerung im Zillertal, die von der katholischen Gegenreformation gezwungen wird, sich zwischen dem Bekenntnis zu ihrem protestantischen Glauben und ihrer Heimat zu entscheiden, wird aus guten Gründen heute nur noch selten gespielt: Zu kitschig und pathetisch wirkt der versöhnliche Schluss, wenn der Reiter des Kaisers sein Unrecht einsieht. Als Historiendrama ist „Glaube und Heimat“ zu eindimensional, als Parabel auf Flucht, Vertreibung, ethnische und religiöse Säuberungen zu plakativ.

Der Hausregisseur des Berliner Ensembles holte das alte Stück wohl vor allem deshalb aus dem Regal, da die Gewissensbisse der Bauern und das Aufeinanderprallen von Obrigkeit und geknechtetet Bevölkerung gut zu Thalheimers kraftvoll wummerndem Theater passt. Sehr routiniert und grundsolide spult er in publikumsfreundlichen 100 Minuten sein Repertoire ab: wie vom Intendanten Oliver Reese bestellt, so wird es hier auch geliefert. Ein handwerklich tadelloser, aber auch sehr erwartbarer Theaterabend, wenn man schon die eine oder andere Thalheimer-Inszenierung gesehen hat.

BERLINER ENSEMBLE/“Glaube und Heimat“ von Karl Schönherr, Regie: Michael Thalheimer, Bühne/Kostüme: Nehle Balkhausen, Musik: Bert Wrede, Dramaturgie: Sibylle Baschung

Für dieses Bergdorf-Drama kann die Regisseure auf die passenden Stammkräfte bauen: In den Hauptrollen als Bauern-Ehepaar Rott verleihen Stefanie Reinsperger und Andreas Döhler ihren Figuren die nötige Robustheit und Dezibel-Lautstärke. Für die gebürtige Niederösterreicherin ist der Dialekt, in dem dieses Volksstück geschrieben wurde, natürlich ein Heimspiel, bei dem sie sich wesentlich leichter tut als ihre Kolleg*innen. Ihre Figur, die Rottin, steckt im Zwiespalt, ob sie sich als Katholikin in Sicherheit bringen oder zu ihrem protestantischen Mann bekennen und mit ihm gemeinsam ins Exil gehen soll. Als wichtigster Gegenspieler der Rotts agiert der bis kurz vor Schluss eiskalte Handlanger des Königs, eine Paraderolle für Ingo Hülsmann, den man in sehr ähnlichen Rollen allerdings auch schon häufig gesehen hat. Als Cross-Gender-Besetzung verkörpert Josefin Platt den Alt-Bauern Rott, der todkrank ist und lange darauf pocht, dass sich die Familie nicht mit der Obrigkeit anlegen, sondern zumindest nach außen hin von ihrem religiösen Bekenntnis abschwören soll.

Eine bemerkenswerte Randnotiz ist, dass Barbara Schnitzler, jahrezehntelang eine der wichtigsten Schauspielerinnen des Deutschen Theaters Berlin und dort in den vergangenen Jahren mehr und mehr ins künstlerische Abseits gedrängt, ein paar Meter weiter am Berliner Ensemble einen Gastauftritt in einer der zahlreichen Nebenrollen des Abends hat. Sie spielt die Mutter der Rottin, die ihre Kinder und Enkel zu sich holen und vor Folter und Vertreibung retten will.

Bilder: Matthias Horn

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