Wie über einen Catwalk stolziert die dreifache „Lulu“ auf die Bühne: aber nicht als langbeinige Männerphantasie im kurzen Röckchen, wie zuletzt Lilth Stangenberg in Stefan Puchers „Lulu“ an der Volksbühne, sondern als Dragkings im Smoking und mit Zylinder. Liliane Amuat, Neuzugang aus Basel, und die beiden langjährigen Residenztheater-Ensemble-Mitglieder Juliane Köhler und Charlotte Schwab treten aus ihrer Rolle heraus und konfrontieren das Publikum mit den klischeehaften Erwartungshaltungen, die Wedekinds „Lulu“ überwuchern: Nein, sie werde sich heute nicht ausziehen, sagt Amuat. Nein, sie werde heute vor niemand knien, legt Köhler nach. Und nein, sie habe überhaupt keine Lust, heute auf der Bühne zu sterben, schließt Schwab trotzig.
In ihren besten Momenten, nämlich immer dann wenn die Spielerinnen aus dem „Lulu“-Plot aussteigen und eine Meta-Ebene einziehen, wird Bastian Krafts „Lulu“ zur intelligenten Reflexion über #metoo, den männlichen Blick, der Frauen zu Lolita-Objekten degradiert, und über die Rolle der Zuschauer*innen im Publikum.
Das klingt auf den ersten Blick verkopfter als es tatsächlich ist, denn Kraft hat nicht nur drei spielfreudige Lulu-Darstellerinnen zur Verfügung, die sich auch gleich noch alle Männer-Rollen teilen. Er setzt auch zur Auflockerung vorproduzierte Drag-Videos von Kevin Graber ein, die raffiniert mit dem Live-Spiel auf der Bühne interagieren.
Oft wird der Diskurs der Spielerinnen auch ironisch gebrochen, wenn zum Beispiel der französische Pop-Hit „Moi … Lolita“ vom Band kommt, während die dreifach Lulu die Reihen abschreitet und taxierende Blicke ins Publikum wirft.
Wann immer der Abend aber die Meta-Ebene verlässt und pur auf Frank Wendekinds „Lulu“ zurückgreift, wird sehr deutlich, wie verstaubt und aus der Zeit gefallen der Text ist, der Ende des 19. Jahrhunderts erschien. Bei Pucher an der Volksbühne geriet das zum Fiasko und auch Krafts Inszenierung wird in diesen Passagen, in denen die „Lulu“ nachgespielt wird, zäh und langatmig. Kraft holt jedoch das Beste aus der Vorlage heraus, indem er sie kritisch befragt, vom Kopf auf die Füße stellt und kräftig durchschüttelt. Lebendig wird die „Lulu“ dadurch allerdings nicht mehr, sie bleibt ein Fall für die Theatergeschichtsbücher.
Bilder: Birgit Hupfeld