Wer hat meinen Vater umgebracht?

Szenisch ist diese knapp einstündige Studio-Produktion auf der kleinen Bühne des Münchner Volkstheaters karg. Regisseur Philipp Arnold und seine drei Spieler*innen konzentrieren sich ganz auf den Text, eine kluge Collage aus dem jüngsten Roman von Édouard Louis („Wer hat meinen Vater umgebracht?“) und seinem Debüt „Das Ende von Eddy“, mit dem er 2014 bekannt wurde.

Der Abend verhandelt eine komplizierte Vater-Sohn-Beziehung: In den Passagen aus „Das Ende von Eddy“ prangert Louis die Engstirnigkeit seines Vaters an, seine toxische Maskulinität, seinen Rassismus, seine Homophobie, all die Demütigungen und Einschränkungen, die Louis in seiner Kindheit ertragen musste. Es gibt aber auch zärtliche Momente der Wiederannäherung, in denen sich die Spieler*innen gegenseitig in den Arm nehmen.

Ein zentrales Motiv in der Text-Collage, die diesem Abend zugrunde liegt, sind die offenen, ungelösten Fragen des Sohnes an seinen Vater: Was hat es mit dem Jugendfoto auf sich, das ihn lächelnd im Kleid zeigt? Wie passt es zu seinem männlich-rauen Auftreten, dass er im Auto so gerne Celine Dion-Songs hörte? Ist die aggressive Homophobie des Vaters auch als auto-aggressive Unterdrückung eigener, uneingestander Wünsche zu verstehen?

Die Rollen des Trios sind ständig im Fluß. Jakob Gessner, Jonathan Hutter und Anne Stein schlüpfen mal in die Rolle des Sohnes, mal in die Figur des Vaters oder der Mutter, die zwischen den Stühlen sitzt. Abwechselnd nehmen sie sich die Maske eines vom Leben gezeichneten, verbitterten, alten Mannes. Den harschen Ton trifft Jakob Gessner sehr gut, Jonathan Hutter bringt eine weichere, empfindsamere Note in den Wortwechsel, der oft mit Live-Video-Kamera gefilmt wird.

Hutter schaltet jedoch in den letzten Minuten komplett um und holt zu einer fulminanten Anklage gegen die französische Politik aus. Louis, der sich ähnlich wie sein Mentor, der Soziologe Didier Eribon, dezidiert links engagiert, wirft den französischen Staatschefs von Chirac bis Macron in seinem essayistischen Roman vor, dass konkrete politische Entscheidungen das Leben seines Vaters ruiniert haben: nach einem Arbeitsunfall in der Fabrik wurde der Druck durch die Sozialbürokratie so groß, dass er als Straßenkehrer wieder ins Berufsleben einsteigen musste, dabei aber seine Gesundheit noch mehr aufs Spiel setzte.

„Wer hat meinen Vater umgebracht?“ ist ein eindringlicher kleiner Abend, der ganz auf die Stärke der Vorlage vortraut und den Ton von Èdouard Louis trifft. Die Ambivalenz dieses Vater-Sohn-Verhältnisses wird an diesem sehenswerten Studio-Abend schlüssig herausgearbeitet.

Bilder: © Gabriela Neeb

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