Hamlet

„Genrewechsel“ ruft Svenja Liesau dem Live-Musiker Jens Dohle regelmäßig zu. Damit ist das Stilprinzip dieses Hybrids ziemlich genau umrissen.

Dass man am Gorki Theater keinen klassischen „Hamlet“ zu sehen bekommt, wie ihn das Stadttheater-Publikum seit Jahrzehnten gewohnt ist und ihn zuletzt beispielsweise Barbara Frey in ihrer Zürcher Abschieds-Spielzeit inszenierte, war von vornherein klar. Auch wenn der Abendzettel verkündet, dass heute „Hamlet“ von (und nicht etwa nach) Shakespeare in der Übersetzung von Angela Schanelec und Jürgen Gosch auf dem Programm steht.

Es wird auch tatsächlich überraschend viel Shakespeare gesprochen und alle wesentlichen Figuren des Dramas sind klar erkennbar. Der erste Kunstgriff dieses Meta-Theater-Comedy-Abends von Christian Weise ist jedoch, dass der „Hamlet“ hier als Film im Stück gespielt wird. Ein avantgardistischer Regisseur aus New York namens Horatio, den Oscar Olivo nicht so hochtourig und comedyhaft anlegt wie viele frühere Rollen, kommt nach Deutschland und muss dort, um sich über Wasser zu halten, in sehr schäbigen Kulissen einen Shakespeare drehen, bei dem sehr theatralisch gestorben wird.

Weite Strecken des dreistündigen Abends filmen die beiden Live-Video-Kameraleute (Marlene Blumert und Samir Nahas) in einem verwinkelten Labyrinth (Julia Oschatz) hinter einem Holzverschlag. Sowohl hinter der Wand als auch erst recht beim Durchbrechen dieser vierten Wand fallen die Spieler*innen regelmäßig aus ihren Rollen.

Der Abend wird so zu einem Stil-Mix: längere Stand-up-Soli, durch die sich Svenja Liesau berlinert, unterbrechen die Shakespeare-Handlung, in denen die Hauptdarstellerin über sich und ihr Kunstverständnis philosophiert und selbstironisch erklärt, wie ein Hamlet im Gorki-Style auszusehen hat. Gerne verwickelt sie auch den Regisseur des Films im Stück, wenn ihn wieder mal eine Sinnkrise packt, in ein Zwiegespräch. Manchmal plaudert sie aber auch einfach nur über ihre Erkenntnis, dass Dresden nur noch arbeitslose Schauspieler*innen aus Berlin in Papp-Kulissen für Touristen leben und arbeiten, die echten Dresdner längst in eine unterirdische Parallel-Stadt abgeschoben wurden.

Der Shakespeare-Stoff wird mit Musical-Szenen, vielen kleinen Meta-Theater-Anspielungen und mehr oder minder flachen Gags gekreuzt, bis ein ungewöhnlicher, oft merkwürdiger, streckenweise auch unterhaltsamer, insgesamt jedoch zu langer Hybrid-Abend herauskommt, an dem gleich zwei Dramaturgen des Hauses mitarbeiteten (Ludwig Haugk und Aljoscha Begrich) und dessen allzu demonstrativ vor sich hergetragene Selbstironie auf die Dauer ziemlich anstrengend ist. Die naheliegende Frage, was das alles soll und worauf das hinaus will, wird ganz offensiv an mehreren Stellen von den Spieler*innen angesprochen und ist ein Markenzeichen dieses „Hamlets“.

Neben der verschachtelten Meta-Struktur und den langen Soli von Svenja Liesau bleibt von dieser Inszenierung vor allem der Auftritt von Ruth Reinecke in Erinnerung. Als Geist von Hamlets Vater hat sie eigentlich nur eine kleine Nebenrolle, aus der sie jedoch aussteigt, um Bilanz zu ziehen. Bei ihrer letzten Premiere an dem Haus, dem sie seit 1979 (!) ununterbrochen als Ensemble-Spielerin verbunden ist, zieht sie eine wehmütige Bilanz, dass man zu DDR-Zeiten eine Stecknadel fallen hören könnte, weil das Publikum genau auf jede Bedeutungs-Nuance achtete und gierig nach Zwischentönen lauschte, während das Theater heute längst nicht mehr diese gesellschaftliche Bedeutung hat und oft – wie leider auch gerade dieser „Hamlet“-Abend demonstriert – nur dem nächsten Lacher des Publikums hinterherrennt. Mit der Aldi-Tüte von Lars Eidinger schlurft Reinecke davon, kommt aber zum Applaus zurück und wurde von Intendantin Shermin Langhoff mit einem Blumenstrauß verabschiedet. Der Rest ist Schweigen.

Bild: Esra Rotthoff

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