Todos os mortos

Das große Panorama einer Gesellschaft im Umbruch zeichnen die Brasilianer Caetano Gordado und Marco Dutra, eines von auffällig vielen Regie-Duos in diesem Wettbewerbs-Jahrgang der Berlinale.

„Todos os mortos“ („All the Dead Ones/All die Toten“) ist das elegische, brasilianische Pendant zu den „Buddenbrooks“ oder dem italienischen „Leopard“. Der Film spielt in Sao Paulo im Jahr 1899, kurz nach dem Übergang vom Kaiserreich zur Demokratie und nach Abschaffung der Sklaverei.

Allen Figuren dieses zweistündigen Films ist gemeinsam, dass sie in der neuen Gesellschaftsordnung ihren Platz suchen. Die ehemalige Großgrundbesitzerin Dona Isabel (Thaia Perez) kann es nur schwer verwinden, dass sie nicht mehr Sklaven herumkommandieren kann und stürzt in lenensmüde Verzweiflung, ihre eine Tochter Maria (Clarisa Kliste) ruft als Nonne an einer Klosterschule hilflos nach Disziplin und Ordnung, die andere Tochter Ana (Carolina Bianchi) hat den Boden unter den Füßen verloren und ist auf die Geister und Zombies fixiert, die sie täglich in ihren Wahnvorstellungen bedrohen.

Aber auch die ehemalige Sklavin Iná Nascimentos (Mawusi Tulani) ist mit der neuen Gesellschaftsform nicht glücklich. Auch sie sucht nach Halt und vermisst den nötigen Respekt in einer nach wie vor rassistischen und von krasser sozialer Ungleichheit geprägten Übergangs-Gesellschaft. Zum Konflikt mit ihren ehemaligen Dienstherrinnen von der Soares-Familie kommt es, als die katholische Nonne Maria von Iná verlangt, mit Voodoo-Zauber und den archaischen Ritualen ihrer Vorfahren sowohl Isabel als auch Ana zu helfen. Iná macht sehr deutlich, wie sehr es sie verletzt, dass sie sich und ihren Glauben nicht respektiert fühlt, dass sie nach wie vor als Werkzeug benutzt und nicht auf Augenhöhe behandelt wird.

Auffällig an diesem Familien- und Gesellschaftspanorama aus dem Fin de Sieclè ist, wie matriarchal die Strukturen geprägt sind. Männer kommen kaum vor, sind die Leerstellen. Entweder wird nach ihnen gesucht oder in Gesprächen recht abfällig über ihr Scheitern gesprochen.

„Todos os mortos“ ist ein an Motiven und Figuren überbordender Film, der vieles anreißt, zu kleinen Beobachtungen einlädt und überraschend konventionell erzählt ist. Dies war nach dem letzten Film von Marco Dutra, den er in anderer Konstellation mit Co-Regisseurin Juliana Rojas drehte, nicht zu erwarten: 2017 gewann er mit „As boas maneiras“ einen Silbernen Leoparden bei Charlo Chatrians vorheriger Festival-Station in Locarno, im Hochsommer 2018 bekam dieses Fantasy-Werk über ein Werwolf-Baby unter dem Verleih-Titel „Gute Manieren“ einen ungünstigen Kino-Starttermin und zu wenig Aufmerksamkeit.

Bild: Carolina Bianchi, Mawusi Tulani; © Hélène Louvart/Dezenove Som e Imagens

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