Schwesterlein

Dieses Szenario treibt Schaubühnen-Chef Thomas Ostermeier den Angstschweiß auf die Stirn: Lars Eidinger fällt auf unabsehbare Zeit aus. Was soll aus dem „Hamlet“ werden? Mehr als 300mal ging diese Inszenierung seit 2008 bereits auf die Bühne, jedes Mal ist sie ein Garant für volle Kassen und für lange Schlangen an der Abendkasse.

Moritz Gottwald aus dem Ensemble rebelliert dagegen, dass er als Zweitbesetzung einspringen und einfach die Ego-Trip-Show von Eidinger übernehmen soll, ohne eigene Akzente setzen zu dürfen. In der Kantine lässt er gemeinsam mit Jenny König und Urs Jucker Dampf gegen den autoritären Chef ab. In seiner Not setzt Ostermeier stattdessen „Ungeduld des Herzens“ von Stefan Zweig auf den Spielplan.

Er ist ohnehin gerade vor allem mit Nina Hoss beschäftigt, die seit Monaten nicht mit dem versprochenen Stück vorankommt und gemeinsam mit dem sichtlich angeschlagenen Eidinger eine Auszeit in der Schweiz nehmen will. Außer gesundheitlichen Problemen plagt Eidinger auch noch Liebeskummer: sein Schatz Tilmann Strauß wechselte von der Schaubühne nach Hamburg und meldet sich kaum noch.

Regelmäßige Berliner Theatergänger werden all die bekannten Namen und Gesichter wiedererkennen, die in dieser kleinen Kulturbetriebs-Farce genannt wurden und zu sehen sind. Sie spielen alle tatsächlich im Kinofilm „Schwesterlein“ mit, der im vergangenen Jahr an der Schaubühne am Lehniner Platz und in der Schweiz gedreht wurde. Allerdings treten alle unter anderen Namen auf: Thomas Ostermeier heißt im Film David, Tilmann Strauß wird zum Johannes, Nina Hoss wird Lisa und Lars Eidinger zum Sven. Im echten Leben sind Eidinger und Hoss Weggefährten seit dem gemeinsamen Studium an der HfS Ernst Busch, ihre Alter Egos sind Zwillinge.

Hier nimmt der Film eine merkwürdige Abzweigung: das Personal-Tableau würde genug Stoff für eine kleine Betriebs-Satire hergeben, stattdessen wollen die beiden Schweizer Regisseurinnen Stéphanie Chuat und Véronique Reymond, die sich laut Programmheft schon seit Schulzeiten kennen und bei kleineren Projekten zusammengearbeitet haben, ganz großes Gefühlsdrama.

Lars alias Sven ist an Leukämie erkrankt und stellt seinen von Chemotherapie geschundenen, zerkratzten Körper unter großem Stöhnen und Seufzen aus. Nina alias Lisa ist die fürsorgliche Schwester, die ihn zu sich in die Schweiz holt, wo sie sich nur als Anhängsel ihres Mannes (Jens Albinus) fühlt, der unbedingt seinen Vertrag als Leiter eines Privat-Internats für den internationalen Geldadel verlängern möchte.

Die beiden Regisseurinnen und Drehbuchautorinnen erzählen diesen Plot mit sehr hölzernen Dialogen. Der emotionale Wutausbruch von Nina Hoss, die auf die Mülltonnen eindrischt, wäre auch eine sehr verständliche Reaktion im wahren Leben, da dieser platte Film mit schwachem Drehbuch für sie eine künstlerische Zumutung ist.

Zäh schleppt sich das Melodram dahin: das Regie-Duo traut sich nicht, hemmunglos auf die Tränendrüse zu drücken, findet aber auch keinen anderen Weg, diesen Stoff überzeugend zu erzählen. Warum Carlo Chatrian, der das Regie-Debüt „La petite chambre“ der beiden Schweizerinnen bereits 2010 in Locarno präsentierte, den enttäuschenden Film in den Berlinale-Wettbewerb eingeladen hat, bleibt sein Geheimnis.

Bilder: Vega Film

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