„Lasst alle Hoffnung fahren!“ Passend zum Karfreitag holt das Hamburger Thalia Theater einen NDR/arte-Mitschnitt von einer ebenso aufwändigen wie umstrittenen Inszenierung, die im Januar 2001 Premiere feierte, aus dem Archiv in sein Corona-Digital-Programm.
Tomasz Pandur, der Anfang der 1990er Jahre als künstlerischer Leiter des Staatstheaters seiner Heimatstadt Maribor für Aufsehen sorgte, brachte zehn Jahre später in Hamburg eine Neuinszenierung seiner „Divina Commedia“ auf Deutsch heraus.
Marina Hellmann baute ihm eine Landschaft aus Wasserbecken, die angeblich 33.000 Liter fassten und von Stahlgerüsten umgeben waren, Goran Bregović sorgte mit mittlelalterlich-sakralen Klängen für die pathetisch-düstere Grundstimmung des Abends. Pandurs Schwester Livia destillierte als Dramaturgin eine Textfassung aus den Versen des Klassikers, die bewusst sehr archaisch wirkt.
Dante (Thomas Schmauser, 2007 an die Münchner Kammerspiele gewechselt) wird von Vergil (Dietmar König, seit 2002 am Wiener Burgtheater) durch die Kreise der Hölle geleitet, vorbei an den sirenenhaften Gesängen der Beatrice (die junge Fritzi Haberlandt in ihrer ersten Thalia-Spielzeit) und an all den verwundeten, leidenden, kriegsversehrten Gestalten, die sich gegenseitig mit Farbe und Lehm beschmieren, im Wasser miteinander ringen oder kopfüber von den Gerüsten herabbaumeln und Klagelieder anstimmen.
Die Erfahrung der Balkankriege der 1990er Jahre ist tief in diese Arbeit des 2016 verstorbenen slowenischen Regisseurs eingeschrieben. In ihrem sakralen Ernst, ihrem Pathos und ihrer auf Überwältigung setzenden Bildgewalt ist dieser Abend ein ungewöhnliches Erlebnis, das die üblichen Stadttheater-Sehgewohnheiten herausfordert.
Dementsprechend polarisierte dieser Abend schon damals: manche fanden die Bilder zu kitschig und den Bogen, den Hildegard Schmahl bei ihrem kurzen Auftritt als Balkankriegs-Reporterin zu Sartres berühmtem „Die Hölle, das sind die anderen“ schlug, zu plakativ. Die Ernsthaftigkeit und der Mut, mit der Pandur und sein Team diese Klassiker-Adaption stemmten, und der szenische Reichtum dieser 90 Minuten sind jedoch auch fast zwei Jahrzehnte später und als Konserve ohne Live-Erlebnis noch sehr beeindruckend.
„Inferno“ war der Auftakt einer Trilogie und hat auch noch aus anderen Gründen Hamburger Theatergeschichte geschrieben: Weil das Bühnenbild mit seinen Wassermassen während der Proben so schwer auf- und abzubauen war, ließ sich Eric Gedeon, damals musikalischer Leiter des Thalia Theaters, ein kleines Füllprogramm einfallen. Sein „Thalia Vista Social Club“, eine Musiksatire über eine Rentner-Band im Altersheim, wurde bekanntlich ein derartiger Publikumsrenner, dass das Kultstück immer noch im Repertoire ist und schon knapp 400 mal lief, während das „Inferno“ leider nur noch als ferne Erinnerung aus dem Archiv zu erleben ist.
Bilder: Hans Jörg Michel