From Berlin with Love und Lab_Works Covid_19

Das Staatsballett Berlin hat besonders unruhige Monate hinter sich: erst trat das Intendant*innen-Duo Johannes Öhmann/Sasha Waltz zurück, dann legte die Corona-Pandemie den gesamten Spielbetrieb lahm.

Unter der Interims-Intendanz von Dr. Christiane Theobald machte das Staatsballett aus der Not eine Tugend und startet mit einem Premieren-Triple, das auf die drei Berliner Opernhäuser verteilt ist, in die neue Spielzeit. Den Auftakt machte die Gala „From Berlin with Love Vol. I“ an der Deutschen Oper in der City-West.

Während des Publikum Platz nimmt, läuft eine launige Vorstellung des kompletten Ensembles auf der Leinwand. cyan hat Porträts der Tänzer*innen überblendet und erzeugt mit dieser Technik amüsante Gender-Verwirrspiele.

Der knapp zweistündige, natürlich pausenlose Abend ist als Stil-Mix konzipiert: mal wird das klassische Ballett mit sehr viel Patina gefeiert wie im Eröffnungs-Stück „Pas de Quatre Divertisseiment“ in historischen Kostümen, mal bietet Dinu Tamazlacaru in „Les Bourgeois“ eine Clownerie zu den Chanson-Klängen von Jaques Brel. Kleine Experimente wie die Berliner Erstaufführung der Choreographie „M-DAO“ stehen neben einem Auszug aus dem Repertoire-Klassiker „Schwanensee“.

Bild: Carlos Quezada

Dieses bunte Potpourri verzichtet bewusst auf einen roten Faden oder dramaturgische Bögen. Die entscheidende, dankbar beklatschte Botschaft dieser Gala aus 10 Einzel-Nummern, die meisten davon als Soli, lautet: Wir sind wieder da!

Lohnenswert machen diesen Abend zwei Highlights: Alexander Abdukarimov überzeugt in seiner ausdrucksstarken Choreographie „Look out from the Silence“ mit einer spielerischen Auseinandersetzung mit Licht und Schatten, die sich auch als Auseinandersetzung mit dem wochenlangen Lockdown und der Zurückgeworfenheit auf sich selbst lesen lässt. Das optimistischere Gegenstück ist ein Auszug aus „Ein Sommernachtstraum“ zur märchenhaft-minimalistischen Musik von Philipp Glass: mit drei Paaren hat diese Miniatur die größte Besetzung.

Der Abend klingt mit einem Video aus dem Proben-Alltag aus, das schon wieder erstaunlich viel Normalität und Fröhlichkeit trotz aller Corona-Auflagen ausstrahlt.

Noch interessanter als das Gala-Potpourri war eine Woche später die Präsentation von 9 kurzen Arbeiten in der Komischen Oper, die während des Lockdowns entstanden sind. Die Tänzer*innen und Tänzer kreierten kleine Miniaturen, die unter dem Titel „LAB_WORKS COVID-19“ gezeigt wurden.

Bild: Yan Revazov

Diese „Choreographien aus der Isolation“ bieten eine erstaunliche Bandbreite: Ross Martinson erzählt in seinem komödiantischen Solo „The Zero“ vom Individuum, das ganz auf sich zurückgeworfen ist. In „LOve distaNT“ verhandeln Marco Arena und Vivian Assal Koohnavard mit Seilen, wie viel Nähe die Corona-Regeln zulassen und wie viel Abstand notwendig ist.

Bild: Yan Revazov

Für das Finale hat Johnny McMillan mit sechs Kolleg*innen „Parliament“ einstudiert: eine Masse wogender, ekstatisch zuckender Körper im Stil von Sharon Eyal, aber auf die Corona-Zeit übersetzt: Jede*r einzelne ist für sich, isoliert.

Bild: Yan Revazov

Ein Glücksfall für das Staatsballett Berlin ist, dass – genauso wie bei der Compagnie Toula Limnaios – einige Ensemble-Mitglieder im selben Haushalt zusammenleben. So waren in beiden Fällen einige mitreißende Passagen möglich, die ganz auf Corona-Abstand verzichten können. In „Waves of Flesh“ erzählen Dana Pajarillaga und Lukas Malkowski, wie sie gemeinsam als Paar die Zeit des Lockdowns durchlebten.

Bild: Yan Revazov

Als Momentaufnahme nach den ersten Premieren der Berliner Corona-Spielzeit bleibt folgender Eindruck: In den Sprechtheatern wurde spürbar, wie eng das Korsett der Corona-Regeln sein kann. Einigen Abenden war deutlich anzumerken, dass sie verzweifelt nach Auswegen suchten, wie die Pr-Corona-Plänte trotz der ungewohnten Abstandsregeln umgesetzt werden können. Das endete z.B. in vorproduzierten Videos, wirkte manchmal hölzern und leblos.

Zum Auftakt der Tanz-Saison war wesentlich mehr Lebendigkeit und Spielfreude zu spüren. Mit den Corona-Regeln gingen die Tänzer*innen entweder offensiv-ironisch um oder sie waren gar nicht relevant, da die Akteur*innen liiert sind oder in einer WG leben. In den besten Momenten dieser Tanz-Abende schien Corona plötzlich ganz weit weg und kein Thema mehr zu sein.

Aber noch einen entscheidenden, atmosphärischen Unterschied gab es zwischen den Berliner Bühnen: Während die Sprechtheater konsequent jede zweite Reihe herausnahmen, platzierte das Staatsballett sein Publikum in der Deutschen Oper und Komischen Oper in einer Art Schachbrettmuster. Die großen Lücken im Sprechtheater verstärkten die Gefühle von Isolation und Ausnahmezustand, der Applaus klang spärlich und dünn, und die Stimmung drohte zu vereisen, wie ein Kommentator auf Nachtkritik nach der Pollesch-Premiere treffend schrieb. In den Opernhäusern brandete immer wieder Zwischenapplaus auf, der wegen der besseren Verteilung und geringeren Abstände des Publikums voller und wätmer klang. Hier könnte aber die Politik schon bald Abhilfe schaffen: Sabine Bangert, die Vorsitzende des Kulturausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus, hat auf Twitter angekündigt, dass nach den Salzburger Erfahrungen diskutiert wird, ab wann man wieder zumindest zu 50 % volle Säle wagen kann.

Den Abschluss des Premieren-Reigens bildete am 18. September die Gala „From Berlin with Love II“ in der Staatsoper Unter den Linden. Diese zwei Stunden widmeten sich ganz den Highlights aus dem klassischen Repertoire mit Auszügen aus „Giselle“ oder „Schwanensee“. Für letztere kam auch ein dreiköpfiges Rumpf-Orchester (Lothar Strauß/Violine, Andreas Greger/Violoncello, Alina Pronina/Klavier) zurück in den Graben.

Was den Reiz von „From Berlin with Love I“ ausmachte, fehlte hier im 2. Teil: der Wechsel zwischen Klangfarben, Tanzstilen und Epochen. Das Schwelgen in der Klassik zog sehr viel älteres Publikum an, allerdings vermisste ich diesmal die Abwechslung und Auflockerung durch zeitgenössische Werke.

Vorschaubild: Carlos Quezada

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