Anna Karenina – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie

Mit diesem Erfolg haben Clemens Sienknecht und Barbara Bürk wohl selbst nicht gerechnet: ihre „Effi Briest“ wurde im Malersaal des Hamburger Schauspielhauses zum Hit und sogar zum Berliner Theatertreffen 2016 eingeladen.

Sie machten das, was auch jedes Hollywood-Studio versucht: auf dieser Erfolgswelle weiterzuschwimmen und an Fortsetzungen zu basteln. Im Herbst 2017 eine weitere Radio-Show aus der Reihe der „berühmtesten Seitensprünge der Weltliteratur“ zur Premiere.

Das Konzept des Abends folgt dem bewährten Modell: wieder nehmen das Regie-Duo und ihr in aus der Zeit gefallene 70er Jahre-Klamotten gestecktes Ensemble einen dicken Wälzer aus dem 19. Jahrhundert, von dem die meisten wohl nur das grobe Handlungsgerüst der unglücklichen Liebe von Anna Karenina und dem Grafen Alexej Wronski und die berühmten Anfangssätze kennen. Ergriffen lauschen die Spieler*innen der Stimme des Erzählers, als sich der Plattenspieler knarzend und knisternd in Bewegung setzt. Der Clou der Sienknecht/Bürk-Sequels ist, dass sie nicht nur den Roman mit ironischen Brechungen nachspielen, sondern mit einer satirischen Hommage an die Radioshows vergangener Jahrzehnte mixen.

Werbeclips und Jingles werden parodiert, vor allem schwelgen die Spieler*innen in Feel-Good-Songs und Evergreens aus den 70ern und 80ern. Diese unbeschwerte, selbstironische Gute-Laune-Show war an diesem grauen November-Abend im zweiten Corona-Lockdown eine willkommene Abwechslung im Pandemie-Alltag und sicher nicht so gramzerfurcht und düster wie das Gesicht von Kommissar Faber (Jürgen Hartmann) im Jubiläums-Tatort von Dominik Graf aus der Dortmunder Schmuggel-Tristesse, der parallel zu diesem Live-Stream aus Hamburg lief.

Die „Anna Karenina“ ist vor allem etwas für Freunde schrulliger Figuren und schrägen Humors, die gerne zwei Stunden abschalten und sich in eine heiter-ironische Comedy-Welt entführen lassen. Eine Schwäche des Abends ist allerdings, dass er allzu sehr Kopie ist und nur das bewährte Konzept verfolgt, ohne das Original weiterzuentwickeln.

Bilder: Matthias Horn

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert