Frühlings Erwachen

Frank Wedekinds Pubertäts-Drama wird an diesem Abend einfach durchgestrichen und beiseite gelegt. Zu verstaubt und aus der Zeit gefallen erschien es Suna Gürler, Leiterin des Schauspielhaus Zürich für und mit jungen Menschen, und ihrem Ensemble.

Wie wenig heutige Schüler*innengenerationen mit dem Stück aus dem 19. Jahrhundert anfangen können, zeigte sich besonders unangenehm am Verhalten einer Schulklasse im Berliner Ensemble, die sich gar nicht für Claus Peymanns werktreue Inszenierung erwärmen konnten und das restliche Publikum störten.

Die Themen, die Wedekind verhandelt, sind hingegen zeitlos. „Mir müend rede“, erklären die jungen Spieler*innen gleich zu Beginn auf Schwyzerdütsch, das sie während der 90 Minuten ziemlich konsequent durchhalten.

In einer Stückentwicklung berichten die jungen Spieler*innen von ihren Pubertäts-Nöten: Matthias Kull, der als Moritz angesprochen wird, erzählt vom Gruppen-Druck, dass er das Gefühl hat, dass alle von ihm erwarten, dass er möglichst bald Sex haben muss. Obwohl er sich noch gar nicht bereit fühlte, hetzte er von Party zu Party, ging aber jedes Mal allein nach Hause und will nun einfach noch warten, bis er in seinem Tempo für das erste Mal bereit ist.

Eine der stärksten Passagen ist das Solo von Jasmin Gloor, die von der Fahrt mit dem Postbus zu ihrer Oma und von ihrem zögernden lesbischen Coming-out berichtet. Wie bei den Stückentwicklungen von Yael Ronen am Gorki Theater bleibt bei diesen sehr intimen Texten in der Schwebe, wie viel davon autobiographisch ist und wie viel davon vom Autor Lucien Haug im Probenprozess gescripted wurde.

Das Berliner Gorki Theater war auch in Suna Gürlers Karriere nach ihren ersten Schritten am jungen theater basel eine prägende Station, bevor sie Hausregisseurin in Zürich wurde. Sie war in den ersten drei Stücken von Sibylle Bergs Tetralogie dabei, stampfte sich wütend durch „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“ und inszenierte als Regisseurin den feministischen Aufschrei „Stören„.

Auf der Treppe, die Moïra Gilliéron auf die Pfauen-Bühne baute, sind die jungen Spieler*innen zwar auch viel in Bewegung. Der Abend wirkt aber nicht so durchchoreographiert und aus einem Guss wie die Gorki-Arbeiten von Gürler/Haug. Dies liegt sicher auch daran, dass die Proben kurz vor der Premiere vom Lockdown unterbrochen wurden und das Stück umbesetzt werden musste: Um die Corona-Abstandsregeln besser einzuhalten, sind Thelma Buabeng und Thomas Wodianka nicht dabei. Es wäre sehr spannend gewesen, wie die beiden starken Schauspiel-Persönlichkeiten mit den Teenager*innen interagiert hätten und welche Dynamik sich entwickelt hätte, auch wenn die Gefahr bestand, dass Buabeng/Wodianka den Nachwuchs zu sehr in die Nebenrollen gedrängt und an die Wand gespielt hätten.

So ist aus dem Ensemble des Zürcher Schauspielhauses nur Matthias Neukirch dabei, der sich auf die Rolle des Stichwortgebers und Zuhörers beschränkt und gegen Ende in ein albernes Vulva-Kostüm schlüpfen muss. Die einzelnen Soli hinterlassen den Eindruck einer Nummern-Revue, die um die Themen Sex und Pubertät kreist und recht unvermittelt abbricht.

Bilder: Zoe Aubry

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