Viele Gedanken und Motive, die Thomas Hauser, Anne Müller und Vincent Redetzki in der ersten Stunde von „Touch“ äußern, tauchten auch bereits fünf Wochen zuvor in dem Monolog „Five Deleted Messages“ auf, den Regisseur Falk Richter mit Dimitrij Schaad für das Kunstfest Weimar erarbeitete.
Die klugen Gedanken zur aktuellen Corona-Lage tauchen in „Touch“, verteilt auf mehrere Spieler*innen, als Gedankenschnipsel auf, eingebettet in die Verzweiflungs- und Ratlosigkeitschoreographien, die Anouk van Dijk und Falk Richter auch bereits vor zehn Jahren in ihrer Finanzkrisen-Bestandsaufnahme „Trust“ an der Schaubühne inszenierten.
Zum Auftakt von Barbara Mundels Intendanz an der Münchner Kammerspiele führte der neue Falk Richter einige Stränge und Motive weiter, die für viele Kritiker*innen ein De-ja-vu-Erlebnis waren. Daraus formte er eine Revue, die Tanz, Sprechtheater, Reflexionen, politisches Kabarett und tolle Songs aufeinanderprallen lässt.
„Touch“ ist ein Abend, der vieles bietet, viel anreißt, aber dabei zwangsläufig wesentlich oberflächlicher als bessere Richter-Abende wie der nuanciertere „Five Deleted Messages“-Monolog oder „Small Town Boy„. Vor allem in der zweiten Hälfte zerfasert der Abend zu sehr, bewegt sich immer weiter von seinem Ausgangs-Thema Corona weg und verliert sich in einem allgemeinen Krisen-Panorama, wo vom Plastikmüll in den Ozeanen über die „Black Lives Matter“-Bewegung bis zu einer Parodie auf Horst Seehofers hämischen Kommentar zur Abschiebung von Asylbewerbern genau zu seinem Geburtstag wie in einem zu konturlosen Leitartikel viele Einzelphänomene unverbunden nebeneinander stehen.
Die Seehofer-Parodie spielte Anne Müller als Marie Antoinette in einem überdimensionalen Reifrock: eine Szene, die viele Beobachter*innen an das Kabarett der Münchner Lach- und Schießgesellschaft einige Kilometer weiter in Schwabing erinnerte. Das Interessante an dieser überbordenden, die Stile und Versatzstücke munter mixenden Inszenierung ist, dass Richter dieses politische Kabarett in einer anderen Szene parodiert. Die Einladung des Paares Florian (Thomas Hauser) und Lutz (Christian Löber) bei einer kunstbeflissenen, von Igor Levits Twitter-Konzerten schwärmenden Freundin (Anne Müller) und ihrer über Christian Drosten spottenden Mitbewohnerin (Anna Gesa Raija Lappe) lässt prototypische Figuren aus unserem Corona-Alltag aufeinanderprallen. Als die Szene in einem Yasmina Reza-artigen Wohnzimmer-Kleinkrieg endet, bricht Richter auch die typischen Mechanismen der Edelboulevard-Komödien ironisch.
Nach der Premiere am 8. Oktober 2020 war „Touch“ nur wenige Male und zuletzt vor nur noch 50 Zuschauern in München zu sehen, bevor der zweite Lockdown kam. Heute und morgen Abend ist ein Mitschnitt beim Prager Theaterfestival deutscher Sprache abrufbar.
Bilder: Sigrid Reinichs