Bodentiefe Fenster

Die stundenlangen Plena von Wohnungsgenossenschaften, die ihren alternativen Lebensstil zelebrieren, sind ein dankbares Opfer für Satire. Vor wenigen Wochen nahm sich Dietrich Brüggemann im „Tatort: Das ist unser Haus“ eine Kommune in Stuttgart vor. Christiane Rösinger schwäbelte sich als gute Seele des zerstrittenen Haufens durch den Film, der mehr ironische Milieustudie als Krimi war.

Bereits 2015 erschien der Roman „Bodentiefe Fenster“, mit dem Anke Stelling bekannt wurde. Ihre Beschreibung einer Genossenschaft am Prenzlauer Berg war die Vorlage der neuen Produktion der Off-Bühne Theaterdiscounter vor, die sich vor kurzem in TD Berlin umbenannte.

Im Lockdown hatte sie nun ein Stream Premiere, in dem sich die drei Performer*innen Susanne Abelein, Matthias Buss und Bettina Grahs in den kleinen Videokonferenz-Kästchen, die seit Monaten unser Leben bestimmen, an dem Baugruppen-Milieu abarbeiten. Sie stellen uns die Wohlstandsfamilien vor, die sich über sechs Stockwerke verteilen und deren Nachwuchs man kaum auseinander halten kann. Sie vereint nicht nur ihr Lebensstil, sondern auch die Auseinandersetzungen mit ihren 68er Müttern.

Nach einem halbstündigen Streifzug durch die Genossenschaftswelt wird das Online-Publikum zur Plenums-Sitzung gerufen. Eingeleitet von einem obligatorischen Blitzlicht aller Teilnehmer*innen wird nun leidenschaftlich über die Tagesordnungspunkte von Taschengeld bis Tattoo-Studio im Erdgeschoss debattiert. Die Zuschauer*innen sind eingeladen, via Chat auch ihren Senf dazuzugeben. Die Parodie einer Genossenschaftssitzung mäandert dahin, bis sich Sandra, die Protagonistin des Romans, per Video-Call einschaltet. Als „Kassandra vom Prenzlauer Berg“, wie es im Klappentext zur Romanvorlage hieß, mischt sie das Milieu auf und hält den Mitbewohner*innen den Spiegel vor.

Nur eine knappe Stunde dauert die Online-Vorstellung „Bodentiefe Fenster“, die irgendwo zwischen satirischer Performance und recht sprödem Theaterfilm anzusiedeln ist. Sie ist der Auftakt für einen Themenschwerpunkt am TD, der sich im Jahr von Abgeordnetenhaus- und Bundestagswahl mit Gentrifizierung, Stadtentwicklung und Verdrängung befassen will und schließlich im vergangenen Jahr selbst von einer Kündigung seine Räume bedroht war.

Bild: Fabian Raabe

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